Wie ein Hammer in die Fresse

Zehnkampf ist brutal, gemein, etwas für Alles- und Nichtskönner: Der Este Erki Nool gewinnt und Frank Busemann wird Siebter

aus Sydney MATTI LIESKE

9.00 Uhr, 110 m Hürden: Zehnkampf ist eine brutale Angelegenheit, sehr Zeit raubend und manchmal auch ziemlich feucht. „Wir hatten drei Stunden geschlafen“, schildert Mike Maczey später die wenig erholungsfördernde Pause zwischen dem 400-m-Lauf am Ende des ersten Tages und dem Hürdensprint am gestrigen Morgen. Und nun hocken sie in den Startblöcken und triefen vor Nässe, obwohl doch eigentlich einer der wettermäßig schönsten Tage dieser Spiele angekündigt war. Das wird es auch, die Zehnkämpfer sind einfach zu früh dran. Zu spät dran ist Mike Maczey. „Ich bin schlecht weg gekommen und wollte Gas geben“, erzählt er, prompt stolpert er über die erste Hürde und rennt die zweite um. 0 Punkte, Höchststrafe für jeden Zehnkämpfer, der Traum von einem vorderen Platz ist aus. Maczey macht trotzdem weiter und wird am Ende Letzter.

10.10 Uhr, Diskuswerfen:

Zehnkampf ist eine gemeine Sportart. Schon die kleinste Unachtsamkeit kann – siehe Mike Maczey – verhängnisvoll sein. Im Diskuswerfen erwischt es beinahe Erki Nool, den 30-jährigen Esten, der seit vielen Jahren einem großen Erfolg nachjagt. Zweimal hämmert er die Scheibe an die Umrandung des Wurfkreises, beim dritten Versuch tanzt er auf dem Vulkan. „Ich wollte einen sicheren Wurf machen“, erzählt er, „aber auch nicht allzu sicher.“ Sein Fuß dreht sich Millimeter an der Kante des Kreises entlang, der Wurf, solide 43,66 Meter, wird erst gültig, dann ungültig, dann doch gültig gegeben.

Für Frank Busemann, schon im Hürdensprint weit über seiner Bestzeit, ist der Diskuswurf das reinste Debakel: 33,71 m bedeuten das Ende aller Medaillenhoffnungen. Am Ende wird der Silbermedaillengewinner von Atlanta, zwei Plätze vor Stefan Schmid, mit 8.351 Punkten Siebter. „Ich bin davon ausgegangen, dass er ein 8.500er Ergebnis kriegt“, sagt ein enttäuschter Zehnkampftrainer Claus Marek und fügt voller Bitterkeit hinzu: „Wir wollten dieses Ding hier würdig und erfolgreich abschließen. Würdig war es, aber nicht erfolgreich.“ Dann sagt er: „Das ist wie ein Hammer in die Fresse. 33 Meter reichen für das Sportabzeichen, aber nicht für Olympia.“

15.30 Uhr, Stabhochsprung:

Zehnkampf ist ein Sport für jene Athleten, die nichts richtig können. Einer, der am besten nichts richtig kann, ist der Tscheche Tomas Dvorak. Er selbst bezeichnet sich als untalentiert und schätzt beim Zehnkampf die harten Arbeiter, nicht die Supertalente wie Dan O’Brien oder Daley Thompson. Es gibt zwei Wege, ein guter Zehnkämpfer zu sein. Entweder in den starken Disziplinen so viele Punkte vorlegen, dass es die schwachen aufwiegt, oder keine starken und schwachen Disziplinen haben. Diese Beständigkeit ist die Spezialität von Dvorak. Bei seinem fabelhaften Weltrekord von 8.994 Punkten erreichte er 97,4 Prozent seiner persönlichen Bestleistungen. Hätte das Dan O’Brien je geschafft, stünde der Weltrekord bei etwa 9.400 Punkten. Doch in Sydney ist Dvorak durch eine Knieverletzung gehemmt. Als dem Tschechen, der noch vor ein paar Monaten in Götzis 8.900 Punkte geschafft hatte, im Stabhochsprung schon bei 4,60 m zum dritten Mal die Latte auf den Kopf fällt, sind auch seine Medaillenambitionen Geschichte.

18.20 Uhr: Speerwurf:

Zehnkampf erfordert einen langen Atem. Das weiß vor allem Chris Huffins, der als lausiger Speerwerfer und 1.500-m-Läufer schon manchen Zehnkampf im Endspurt verloren hat. Viele Jahre stand der 30-jährige US-Amerikaner, der als Assistenztrainer an der Universität von Wake Forest arbeitet, im Schatten von Dan O’Brien – und doch wieder nicht. Zwar konnte er ihn nie besiegen, doch weil O’Brien so häufig verletzt oder unpässlich war, hat Huffins das Gefühl, er habe all die Jahre an seiner statt „den Mantel des Zehnkampfs in den USA getragen“. Seit dem 100-m-Lauf hat er in Sydney geführt und will sich nun mit starken Speerwurf die Konkurrenten vom Leib halten. Es werden nur 56,62 m. „Da war mir klar, dass ich jetzt rennen musste.“

21.20 Uhr, 1.500-m-Lauf:

Zehnkampf ist „ein befriedigender Sport“. Findet jedenfalls Erki Nool. Besonders an diesem Abend. Dass Huffins den Vorsprung von 2,5 Sekunden vor dem Esten niemals würde halten könnte, war schon vor dem Lauf klar. Am Ende zieht auch noch der Tscheche Roman Sebrle an ihm vorbei, den dritten Platz kann er aber retten. „Manche werden sagen, ich habe Gold verloren“, meint Huffins, „aber man kann auch sagen, ich habe meine Bestleistung um 13 Sekunden gesteigert und Bronze gewonnen.“ Einig sind sich alle, dass es ein merkwürdiger Zehnkampf gewesen ist, stark von den Nerven bestimmt und mit eher bescheidenen Leistungen. 8.641 Punkte reichen zum Olympiasieg für Erki Nool, den auch nicht weiter wundert, dass am Ende andere Athleten als zuvor erwartet auf dem Treppchen stehen. „Zehnkampf ist wie Golf“, spricht der Este, „man wird ihn nie vollkommen beherrschen können.“