: Kunst for everybody
■ Seit 25 Jahren verleiht die Graphothek in staatlichem Auftrag Bilder an Privatleute und Büros. Am Sonntag wird gefeiert
Claes Oldenburg, der Mann, der in so ziemlich allen Großstadtkreuzungen an Stelle von Heldendenkmälern überdimensionierte Hamburger, Krawatten und andere Profanitäten abfeiert, meinte mal: „Ich mag keine Kunst, die im Museum auf ihrem Arsch sitzt.“ Irgendwer hat diesen Satz auf die Treppenstufen in der Städtischen Galerie geklebt, beschreibt er doch eine der Intentionen des Graphothekwesens. Kunst sollte nicht nur im Museum im Vorbeischlendern aus den Augenwinkeln wahrgenommen werden, eingebunden in irgendwelche staubtrockenen Ausstellungskonzepte. Sie sollte den Menschen durch den Alltag begleiten, wie die Bibel oder die tägliche Milchschnitte. Denn wer weiß welche wunderbaren Dinge passieren, wenn man mitten im Ehestreit eines Penckschen Krieger angesichtig wird, oder in Selbstmordstimmung eine Rainersche Totnmaske sieht: könnte prickelnd kommen. Und tatsächlich erzählen stolze Kunsteigner, dass etwa Tapies-Kritzeleien oder Rothko-Wolken bei täglicher Dosis ungeahnt Großes bewirken: zum Beispiel den Urknall erklären oder Alkoholprobleme heilen.
Deshalb wurde vor 30 Jahren in Berlin das Bibliotheksprinzip von Büchern auf Bildende Kunst übertragen. Bremen folgte nur fünf Jahre später. Viel änderte sich im Laufe der Zeit. Zunächst war der Verleih in den Händen der Stadtteilbibliotheken. 1980 wanderte alles in die Weserburg bis 1996. Nach einem Scheintot von etwa einem Jahr wurde 1997 die Städtische Galerie im Buntentor neues Domizil. Zweite Neuerung: Der Ankaufsetat wurde von 100.000 Mark konsequent zurückgefahren; vor fünf Jahren erreichte der Neubremer Zeitgeist endlich die Zieleinfahrt bei 0 Mark. So kann die Graphothek allenfalls durch die Bremer Künstlerförderprogramme hie und da ein neues Blättchen abgreifen; da haben sich nämlich fördernswerte Jungkünstler für Einjahresstipendien mit künstlerischer Hardware zu revanchieren. Nur noch sehr eingeschränkt zu realisieren ist so das ursprüngliche Anliegen der Graphothek, eine lebendige Begegnung mit der Kunst von 1960 bis zur unmitelbaren Gegenwart zu ermöglichen und überdies der lokalen Kunstszene durch Ankäufe unter die Arme zu greifen.
Die aktuellen Geschäftsbedingungen: Für einen Jahresbeitrag von 60 Mark für Privatpersonen und 240 Mark für Firmen, Praxen etc. können aus 3.600 plus x Kunstwerken bis zu 10 Stück gleichzeitig ausgewählt werden. Ein Spottpreis. Die Leihfrist beträgt 3/6/12 Monate. Wahrgenommen wird dieses Angebot von Studenten, Lehrern, Rentnern, Anwaltskanzleien, psychotherapeutischen Praxen, einer Abteilung der Stahlwerke, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband etc. Müllfahrer fehlen, die Klientel sprengt aber durchaus den engen Zirkel des typischen Vernissagenpublikums, meint Hans-Joachim Manske, der Hausherr der Städtischen Galerie. Was gewählt wird, weiß Karola Werner, die den Laden wirft. Zahnarztpraxen haben offenbar wenig Interesse an Inhalten und bevorzugen OpArt und Konstruktivisisches. Lokale Künstler werden genauso gerne ausgeliehen wie die Malerstars Josef Albers, Arcangelo, Calderara, Geiger, Le Witt, Morellet, Vasarely, Tittenmaler Mel Ramos oder Roy Lichtenstein. Einige wähle passend zur Tapete. Kritischer Realismus geht heute nicht mehr so gut. Deshalb sind die Plakate Klaus Staecks im Archiv nur noch mit der Leiter zu besichtigen. Macht nichts: denn neben den bebilderten Katalogschwarten gibt seit neusten ein digitales Verzeichnis Überblick über den kompletten Verleihbestand. Demnächst wird es in Internet gestellt und für alle Graphotek-Nutzer mit Kennwort (das erzwingt angeblich der Urheberschutz bei Kunst) zugänglich gemacht. Das legendäre Staeck-Plakat mit der „Achtung, demokratiefreie Zone“ vor Brokdorf wird heute aber immer noch gerne nach Hause geholt. bk
Geburtstagsfeier in der Städtischen Galerie am 8.10, 13h, mit Ausstellung (klasse: die Perfektionsfreaks Rupprecht Geiger und Max Bill auf unverputzter Wand) und vielen Reden (u.a. vom Vorsitzenden der 120 Artotheken Deutschlands J.Stahl). Till Meier singt Dylan-Songs. Tel.361-6920, Ausleihzeiten Di + Do 13-18h
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