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Verschwinden in Bildern

■ Mit kopfgroßen Wand-Ecken fing es an. Doch mittlerweile schafft die Künstlerin Martina Klein so große Bildermöbel, dass man sich dazwischen verlieren kann. In Bremerhaven ist das jetzt auch für BesucherInnen möglich

Vermilion light, caput mortuum dark, Paris blue, Zine yellow – diese Farbnamen stehen auf einem Klebeband, das Martina Klein über das Sofa ihrer Bremerhavener Wohnung gehängt hat. Bremerhaven ist ein vorübergehender Aufenthaltsort, ein Künstlerstipendium bindet sie ein Jahr lang an die Stadt. Wohnung und Atelier befinden sich im „Pferdestall“, einst wirklich ein Pferdestall, seit zehn Jahren ein Raum für Lesungen und Kleinkunst. Unter dem Dach liegt das weiträumige Atelier, in dem Martina Klein ihre Abschiedsausstellung vorbereitet. „Ein Jahr Bremerhaven“ nennt sie ihren Beitrag im Kabinett für aktuelle Kunst, aber der Titel täuscht.

Martina Klein liefert kein Porträt der Stadt, sie verweigert jede Form von Erzählung. Auf dem Boden ihres Ateliers hat sie den Grundriss des Kabinetts abgeklebt. Mitten in der eingefassten Fläche stehen zwei quadratische Wände, etwa brusthoch, im rechten Winkel zueinander, jeweils einfarbig bemalt. Es sind Holzrahmen, mit Leinen bespannt und mit Öl bemalt. Zwei monochrome Farbflächen, silbergrau und orange, nicht gespritzt, sondern aufgespachtelt, so dass die Arbeitsspuren zu sehen sind. Aber was ist zu sehen? Eine Installation? Zwei Öl-Bilder? Eine Raum-Ecke? „Was ich mache“, sagt Martina Klein, „ist immer noch ein Bild, aber kein Bild, das an der Wand hängen muss.“ Man kann es von vorn und von hinten sehen, man kann drumherum oder hineinlaufen, so spielt sie mit den traditionellen Sehgewohnheiten und Konventionen, und ist sich der Tradition, in der sie selbst steht, wohl bewusst.

An der Kunsthochschule in Kassel zur gegenständlichen Malerei gedrängt, ging sie weg nach Düsseldorf, wo sie zum ersten Mal mit den amerikanischen Abstrakten konfrontiert wurde und sofort die Nähe zu ihren eigenen Wegen erkannte. Seit sieben Jahren arbeitet sie an den Farbflächen, die immer mehr aus der Wand herauswuchsen, bis sie sie in den Raum stellte. Mit kleinen, gerade mal kopfgroßen Formaten hatte sie begonnen, dann wurde sie mutiger. „Damals wusste ich noch gar nicht, dass die Bilder mal so groß werden würden. Du lernst ja dauernd bei der Arbeit, du tastest dich immer weiter vor.“ In ihrem Bremerhavener Atelier stehen mehrere dieser quadratischen „Wand-Ecken“ auf dem Fußboden, die bis zu zwei Meter groß sein können, so groß, dass die Künstlerin zwischen ihnen verschwindet.

Sie würde sie am liebsten als Möbel betrachten, als geistige Möbel, die in einer beliebigen Wohnung stehen sollten. Und was würde sie mit diesen Möbeln machen? Sie würde das Spiel der Farben betrachten, die sich je nach dem Wechsel des Tageslichts verändern, die aufeinander reagieren und die vor allem in der Abenddämmerung ein intensives, ein geheimnisvolles Leuchten aussenden. „Schade“, sagt Klein, „diese Erfahrung können die Betrachter im Neon-Licht der Galerien kaum machen.“

Die Galerien, in denen sie seit 1992 vertreten ist, befinden sich in Düsseldorf, Stuttgart und Kassel, in Antwerpen und Amsterdam, in der Schweiz und in Paris, wo sie gerade ihre jüngste Ausstellung eröffnet hat. Um den BesucherInnen mitzuteilen, wie sie ihre Bilder sieht, fotografiert sie ihre Farb-Wände selber. Dabei zeigt sie den Zusammenhang zwischen dem Raum und dem Bild auf eine so poetische Weise, dass ihre Fotos längst Teil ihrer Kunst geworden sind. Auch in Bremerhaven hat sie zum Fotoapparat gegriffen und einen Kiosk dokumentiert, an dem sie täglich vorbei kam. Für die Malerin ist dieses auf der Einladungskarte benutzte Motiv eine Farbecke mit herausragenden Grauwerten. Für uns ist es ein Zeichen ihres sanften Blickes auf diese Stadt. Hans Happel

Ausstellung bis zum 22. Oktober im Kabinett für aktuelle Kunst, Bremerhaven, Karlsburg 4 (Öffnungszeiten: Mi. 17-18 Uhr, So. 11-13 Uhr).

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