: Haifisch mit erneuertem Gebiss im Gesicht
■ Bremerhavens Stadttheater bringt im City-Port eine entstaubte Version von Brechts „Dreigroschenoper“ auf die Bühne
Ein Auftakt wie ein Paukenschlag! Die „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill im Bremerhavener City-Port, da haben sich ein Raum und ein Klassiker aus dem Fundus der Theatergeschichte gefunden, der hier alles Angestaubte verliert. Wolfgang Hofmann inszeniert den Raum, er macht ihn zum Thema: Bevor das Spiel beginnt, sind Wände und Requisiten in weiße Schonbezüge gehüllt, dann erhebt sich ein großes Getöse und aus einem Bretterverschlag brechen die Spieler hervor, mehr als drei Dutzend Personen strömen auf die Bühne, jemand geht ans Klavier und sagt, „Tja“.
Tja, hier müssen wir auftreten! Aber es funktioniert (trotz mancher akustischer Probleme). Wenn alle Tücher geräuschvoll zusammengefaltet worden sind, werden die hohen Eckwände aus der Innenverkleidung der Stadttheaterbühne sichtbar, dazwischen eine Galerie aus gestapelten Paletten; oben in der Mitte die aufgebrochene Kiste, die später zum Schlafzimmer, zum Bordell, zur Gefängniszelle wird. Lars Peter hat diese improvisierte Bühne mit ihren zwei Spielflächen und drei verschiebbaren Treppchen entworfen, die auch als farbig leuchtende Showtreppen ins Spiel kommen. Im Vordergrund links ein paar Stuhlreihen aus dem alten Stadttheaterparkett, rechts sitzen die Musiker des kleinen Orchesters, das Christoph Hornischer vom Klavier aus dirigiert.
Schon mit der Ouvertüre gibt er den musikalischen Tonfall dieser Inszenierung an: Das Ensemble musiziert transparent, sehr zügig und exakt, zugleich unaufgeregt leicht, ohne pathetische Überzeichnung. Die in dunkle Mäntel gehüllten Bettler bilden eine Schlange vor dem Mikrofon und sprechen jeweils eine Zeile der Moritat von Mackie Messer, bevor sie sie (ein wenig harmlos) im Chor singen. Dann tritt Kay Krause als Bettlerkönig Peachum auf und verkündet: „Es muss etwas Neues geschehen!“ Geschieht an diesem Abend etwas Neues?
In einem dreistündigen Kraftakt, der fast immer kurzweilig bleibt, wird eine Inszenierung geboten, die mit starken Bildern aufwartet, mit Witz im Detail und mit einem äußerst engagierten Ensemble. Höhepunkt vor der Pause ist die Hochzeit des Gangsters Mackie mit Polly, der Tochter des Bettlerkönigs, die enttäuscht auf den nüchternen Raum reagiert: „Eine Bootsgarage?“ Aber dann rollen Macs Gangster-Kumpel (eine wunderbar bewegliche und urkomische Truppe, allen voran Ulrich Gall als unheimlicher Hakenfinger-Jakob) sechs kostbare Kommoden in den Raum, dann fahren sie einen langen Paletten-Tisch auf und füllen ihn schnellstmöglich mit Speiseplatten, Weinflaschen und Geschirr. Es wird laut gebechert, gegessen und gewitzelt, bis Polly allen die Bal-lade von der Seeräuber-Jenny singt.
Heike Eulitz versucht gar nicht erst, große Vorbilder nachzuahmen, sehr leise und mit unverstellt brüchiger Stimme gibt sie die Worte der armen Dienstmagd, die alle ihre Peiniger köpfen lassen will. Das Zusammenspiel zwischen Sängern und Musikern funktioniert nicht bei allen Songs so gut, manchmal werden die Stimmen übertönt, dann geht zugunsten der unverwüstlich frischen Musik von Weill der messerscharfe Brecht verloren. Und Mackie?
Guido Fuchs hat eine Rolle übernommen, in der er an seine Grenzen gehen muss. In Anzug, Mantel, weißen Handschuhen macht er eine gute Figur. Aber aus seiner Stimme spricht zu häufig der Underdog und nicht der souveräne Ganove mit seinen gefährlichen Seiten. Dietrich Trapp als sein alter Freund Tiger-Brown hat wenig Tigerhaftes an sich, er wirkt viel zu weich, so unterwürfig sollte kein mit Verbrecherkreisen verbündelter Polizeichef auftreten. Dagegen hat Kay Krause seine Glanzrolle gefunden. Mit ironischen Zwischentönen gibt er Peachum als gewieften Geschäftsmann, der weiß, wie man mit seinem Personal umspringt.
Für einen magischen Moment sorgt an diesem Abend Christel Leuner. Sie ist die Spelunken-Jenny, eine alternde Prostituierte im hautengen roten, dekolletierten Kleid – umgeben von einer witzigen Truppe rosa ausstaffierter Huren –, sie verbindet Charme und Melancholie wunderbar genau. Wenn sie singt und dabei jedes Wort auskostet, wird sie zur herausragenden Diseuse. Wolfgang Hofmann hebt den oratorischen Charakter der Dreigroschenoper hervor, indem er das Ensemble im Zwischen-Finale als Kirchenchor mit Solisten antreten lässt. Die strenge Form wirkt bei einigen Songs zu steif, bei anderen wird sie aufgebrochen, zum Beispiel wenn Mackies Frauen Polly und Lucy (Selma Baldursson) vor der Gefängniszelle als keifende Rivalinnen auftreten.
Kurz vor dem Opern-Finale sorgt die Regie für eine kleine Überraschung: Mackie zappelt schon am Galgen, als der rettende Bote der Königin auf einem Holzpferd angeritten kommt. Die Handlung muss noch einmal zurückgedreht werden. Nach dem kleinen Schock kommt der große Schluss-choral der Bettler umso erleichternder: „Bedenkt das Dunkel und die große Kälte/ In diesem Tale, das von Jammer schallt.“ Langer und begeisterter Beifall im ausverkauften Haus. Hans Happel
Die nächsten Vorstellungen des Stadttheaters Bremerhaven im City-Port: 11., 20., 22., 27., 29. Oktober und 4., 5., 10., 11., 14., 16., 26. November; Tel.: 0471/49 001
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