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Abnehmen in Essen

„Medienvielfalt muss sich rechnen“, sagt der WAZ-Geschäftsführer. Und macht schon mal die ersten drei Lokalredaktionen im Sauerland dicht

von NADIA LEIHS

Der Riese speckt ab. Hatte der Essener Medienkonzern WAZ sich in den vergangenen Jahren vor allem durch den Kauf von Zeitungen sowie Radio- und Fernsehsendern ins Gespräch gebracht, scheint er jetzt seine Strategie zu ändern und voll auf Rationalisierung zu setzen. Anfang Oktober kam das Aus für drei Lokalredaktionen der Westfälischen Rundschau (WR). Gewerkschafter und Mitarbeiter rechnen mit weiteren Schließungen.

An Rhein und Ruhr gilt die WAZ-Gruppe als Monopolist: Die vier größten Tageszeitungen gehören ihr, an 14 Lokalsendern ist sie beteiligt. Neben dem Flagschiff Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) sorgen die Westfälische Rundschau (WR), die Neue Ruhr Zeitung (NRZ) und die Westfalenpost (WP) für Gewinne.

Dabei steht die WAZ-Gruppe für eine ganz eigene Presselandschaft. Denn wo man zwischen Rhein und Ruhr noch zwischen zwei Zeitungstiteln wählen kann, gehören oft beide zur WAZ. In insgesamt 21 nordrhein-westfälischen Städten leistete sich der Medienriese den Luxus, mit jeweils zwei Blättern um die Gunst der Leserschaft zu buhlen. Das „Prinzip der inneren Konkurrenz“ wahrte bisher zumindest nach außen den Anschein von Meinungsvielfalt, doch damit scheint jetzt Schluss zu sein. „Medienvielfalt muss sich rechnen“, lautet der neue Kurs von Gesamtkonzern-Geschäftsführer Erich Schumann.

Schließbefehl amTelefon

Erste Opfer: drei Lokalredaktionen der Westfälischen Rundschau im nördlichen Sauerland. Die Schließung der WR-Redaktionen in Iserlohn, Hemer und Letmathe kam einem Überfall gleich. Eine Woche vor Schluss informierte die Chefredaktion die Redaktionen – per Telefon. „Die wollten sich die Diskussion sparen und zeigen, wo die Macht sitzt“, mutmaßt WR-Betriebsrat Malte Hinz.

Die Lokalausgaben hätten pro Jahr siebenstellige Verluste erwirtschaftet, begründete der WAZ-Konzern sein Vorgehen. Einblick in die Bilanzen bekamen aber weder Mitarbeiter noch Betriebsrat. In der Branche gilt die WAZ-Gruppe ohnehin als wenig informationsfreudig: Pro Stadt gibt sie stets nur die Gesamtauflagen aller ihrer Titel an, genaue Informationen über die zum Beispiel in Dortmund tatsächlich unter die Leute gebrachten Exemplare von WAZ und WR fehlen.

Die Abwicklung der drei Sauerländer Redaktionen wird sich für die WAZ-Gruppe aber auf jeden Fall rechnen. Denn auch das Konkurrenzblatt in der Region, der Iserlohner Kreisanzeiger (IKZ), gehört zu knapp einem Viertel der WAZ-Gruppe, über Strohmänner soll sie insgesamt sogar etwas mehr als 48 Prozent der Anteile kontrollieren. Der IKZ beherrscht nun den Iserlohner Zeitungsmarkt zu knapp 90 Prozent – und produziert jetzt auch den Lokalteil für die WR-Leser. Die WAZ-Tochter Westfalenpost liefert sowieso schon seit zwei Jahren den überregionalen Teil des IKZ.

Dieser kalte Aufkauf ist seit langem bei den Kartellbehörden anhängig. Im November soll der Bundesgerichtshof entscheiden, ob die Unternehmens-Ehe rechtens ist. Insider vermuten, dass der Konzern das Kartellverfahren mit der Schließung der WR-Redaktionen unterlaufen wollte. Nach Ansicht der Wettbewerbshüter wird das Verfahren allerdings durch den „Rückzug“ der WR nicht beeinflusst.

Doch es gibt noch andere nahe liegende Gründe für den Sparkurs des Medienriesen: Der Anzeigenmarkt ist hart umkämpft, besonders bei den Kleinanzeigen gab es Einbrüche, auch der Gesamtverkauf der WAZ-Blätter ist leicht zurückgegangen.

„Hier siegt die Profitgier über die Pressevielfalt“, meinen Vertreter der IG Medien und des Deutschen-Journalisten-Verbandes: Unter den Gewerkschaftern gilt die Faustregel, dass die WAZ-Gruppe überall dort, wo keine konzernfremde Konkurrenz mehr am Markt ist, ihre Blätter zusammenschließt. Etwa zehn Lokalredaktionen sollen auf der Abschussliste stehen, berichten Insider. Auch in anderen kleineren Orten der Region, die bisher zweigleisig fahren, wird das Unternehmen künftig vermutlich nur jeweils eine Lokalredaktion finanzieren.

Die Folgen einer solchen „Flurbereinigung“ sind absehbar: Die Redaktionen werden aus einem Überangebot von Journalisten schöpfen, Festanstellungen rücken in weite Ferne, und freie Mitarbeiter können mit noch geringeren Honoraren als bisher abgespeist werden.

Die Berichterstattung wird durch die fehlende Konkurrenz an Qualität verlieren. Gerade im SPD-verfilzten NRW könnte sich das als verhängnisvolle Entwicklung erweisen.

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