: „Liebe taz...“ Henning, die Partei will dich nicht
Betr.: „Scherf umarmt weiter bis zum Jahr 2005“, taz bremen vom 9. Oktober 2000
Die Steilvorlage gab der Bericht über Henning Scherfs Wunsch, die Geschicke unseres Landes weiter in den Händen halten zu wollen: „Ich möchte noch einmal für die SPD als Spitzenkandidat bei der Wahl 2003 antreten, wenn die Partei mich will.“
Nein, lieber Henning, die Partei will Dich nicht noch einmal. Wir vertrauen auf Deine Zusage, Dich nach der laufenden Legislaturperiode als Präsident des Senats zurückzuziehen. Da auch in der SPD gelegentlich das Leistungsprinzip gilt, erledigt sich die Kandidatinnenfrage von allein: Im Anschluss an die Bürgerschaftswahl fand noch eine europaweite statt, und die Kandidatin holte für Bremen gegen den Trend Prozentpunkte hinzu und für die Sozialdemokraten das bundesweit beste Ergebnis.
Dies ist auf die uneingeschränkte Beliebtheit innerhalb der Partei, auf Bienenfleiß und Durchsetzungsvermögen im fernen Brüssel und in Straßburg zurückzuführen. Welcher Bremer Parlamentarier hält schon regelmäßig einen Stammtisch für interessierte Bürger und berichtet dort über tagesaktuelle Themen und die künftige Richtung? Ein jährliches Streitgespräch und eine Broschüre über die EU-Projekte für Bremerhaven und Bremen belegen das Engagement für das Land Bremen im wichtigsten politischen Zentrum in Europa. Außerdem sind auch einige Zehntel Prozentpunkte mehr für die SPD geholt worden, als sie der Lange auf sich vereinigen konnte. Unvergessen ist an der Sozi-Basis außerdem seine Erpressung „entweder mit der CDU oder ohne mich“.
Womit ich beim wichtigsten Thema bin: Dem politischen Gegner, der durch eigenes Verschulden in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet, aber von Scherf vor dem endgültigen Absaufen geschützt wird. Was hat die CDU zu bieten, das unverzichtbar für unseren Zwei-Städte-Staat wäre? Hartmut Perschau, als Hamburger den Bremern ungewöhnlich freundlich zugetan, hat vor eigenem Publikum zugegeben, dass ihn Rot-Grün in Berlin bei der Sanierung des Bremer Haushalts unlängst mehr unterstützt hat, als das die Herren Teufel und Stoiber jemals zugelassen hätten. Der abgehalfterte Bierkutscher Hattig, der einen kernigen Kommisston für Durchsetzungsfähigkeit hält und seinen Laden kaum unter Kontrolle hat. Bernt Schulte, ein respektabler Politiker, dessen Qualitäten seine eigene Partei nicht zur Kenntnis nehmen will. Und: Grauenhaftes-tes Beispiel für Scherfs Fehlentscheidung, die Union für unverzichtbar zu halten, ist deren Fraktionschef in der Bremischen Bürgerschaft: Jens Eckhoff. Wer den Sportverein eines respektablen Bremer Stadtteils in eine existenzbedrohende Krise führt, kann keine Stadtstaatensanierung auch nur im Ansatz zum Erfolg führen.
Zurück zur Bremer SPD: Der Landesvorsitzende, dessen Job von der Bremer Uni finanziert wird, fällt weder in Findorff noch auf dem Campus durch besonderen Einsatz oder durch zukunftsträchtige Ideen auf. Vielmehr erfrechte er sich, zum 30. Jahrestag seines Transparentauftrittes an der Hamburger Uni, eben dieses Bettlaken wieder hervorzuholen. Dabei ist nicht zuletzt durch „Rosi Roland“ bekannt, dass Herr Albers sich in seiner Rolle als Ordinarius gefällt, seine Assistenten arbeiten lässt, um später mit deren Ergebnissen zu glänzen. Wer vom „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ schreibt und selbst nicht mal einen Nagel gerade in die Wand bekommt, ist als Vorsitzender einer gewandelten Arbeiterpartei ein Totalausfall.
Auch der Bremer Unterbezirkvorsitzende Wolfgang Grotheer verwechselt das Parteibüro gelegentlich mit einer Privatkasse zur Finanzierung des eigenen Häuschens. Oder ist bei der Besetzung der Büroleitung vielleicht die qualifizierteste Kandidatin eingestellt worden? Kein Wunder, dass sich kritische Stimmen so plötzlich äußerst freundlich vernehmen lassen.
Noch mal: Es gibt eine Kandidatin, die sich im Gegensatz zu anderen Bewerbern nicht selbst aufstellt. Stil hat auch immer etwas mit Charakter zu tun. Die zuständigen Gremien der SPD werden die Antwort zur richtigen Zeit finden.
Die Nutellageneration hat sich nicht 30 Jahre lang die Sesamstraße angeschaut, um dann auf die Antworten zu den Fragen: „Wieso, weshalb, warum?“ zu verzichten. In nicht allzu ferner Zukunft werden die zwischen 1960 und 1975 Geborenen die Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen. Die Zeit der 68er ist abgelaufen und in Bremen haben wir es angestoßen, bevor in Berlin oder München auch nur jemand die Augen aufgemacht hat. Das Ziel der Bremer SPD bei der Bürgerschaftswahl 2003 kann nur heißen: mindes-tens 50 Prozent plus eine Stimme.
Thorsten Stange, SPD- Ortsverein Horn-Achterdiek
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