Vom Nutzen der Kaulquappe

Manch wissenschaftliches Werk ist vollkommen sinnfrei. Für diese schillernden Perlen der Forschung gibt es auch in diesem Jahr wieder den einzig wahren Nobelpreis

Werden die Forscher nicht abgeschreckt, ins Dunkel des Wissens vorzustoßen?

Es ist schon etwas Besonderes, einen Nobelpreis für Halbleiterlaser zu gewinnen. Die Welt jubelt, weil solche Teile zum Beispiel in Supermarktkassen den Blutwurstkauf enorm beschleunigen. Hierzulande wird gerade besonders heftig gejubelt, weil dem in den USA lebenden Lasermacher deutsches Blut angedichtet werden kann. Und weil Wissenschaft ja nur gut ist, wenn sie dem Volk nützt. Wie die V 2. Oder eben die Supermarktkasse.

Wer hingegen das Zusammenbrechen von Toiletten erforscht, bleibt unbeachtet. Dabei gibt es Wissenschaftler, die den steinigen Weg der komplett nutzlosen Forschung gehen. Wie jene drei Schotten, die gerade erst mit dem „Ig-Nobelpreis für öffentliche Gesundheit“ ausgezeichnet wurden. Die Kloforscher finden in ihrer bahnbrechenden Studie „The Collapse of Toilets in Glasgow“ stichhaltige Gründe für den Zusammenbruch öffentlicher Toiletten: Zum einen das Gewicht der Benutzer, zum anderen das Alter der Kloschüsseln.

Das „Ig“ dieses Nobelpreises steht für „ignoble“ wie unwürdig. Seit 1991 wird er an der amerikanischen Harvard-Universität für Leistungen, die „nicht wiederholt werden können oder sollten“, verliehen. Die wenigen deutschen Medienberichte zur Verleihung haben das „nicht können“ übersehen. Dabei sagt dieses Auswahlkriterium nichts darüber aus, ob eine „Sache gut oder schlecht ist“, wie der „Ig“-Begründer Marc Abrahams immer betont. Es gibt einige Werke, die auf ewig einzigartig bleiben werden: Der erste Plastikflamingo zum Beispiel, für den Don Featherstone 1996 den Kunst-Ig-Nobelpreis erhielt. Oder das Computerprogramm PawSense, das die Anwesenheit einer Katze auf der Computertastatur entdeckt und dann sofort Gegenmaßnahmen wie Schreibsperre und Geräuschproduktion einleitet. Dafür gab’s immerhin die diesjährige Informatikerauszeichnung. „Forschung, die die Welt nicht braucht“, nannte der Spiegel das in einer kurzen Meldung. Aber hallo, wer braucht schon Supermarktkassen?

Dass 1.000 Autoren für einen zehnseitigen Text tatsächlich von Nutzen sind, kann bestritten werden. Einige der Autoren dieser medizinisch-wissenschaftlichen Abhandlung haben sicher nicht einmal mitbekommen, dass jedem von ihnen für den Bericht im New England Journal of Medicine ein Stückchen Ig-Literaturnobelpreis zusteht.

Noch mehr Munition für Nützlichkeitsfetischisten: Zwei Preisträger beschäftigen sich in diesem Jahr mit Ernährungsfragen. Während kanadische Forscher lang und breit den Nährstoffgehalt südamerikanischer Kaulquappen analysieren, stellt die Literaturpreisträgerin kurz fest: Manche Menschen müssen gar nichts essen. Denn sie leben allein von Licht!

Aber geht es denn im Leben tatsächlich allein um den Nutzen? Nö. Marc Abraham ist da nichts hinzuzufügen: „Der Preis ehrt das große Durcheinander, in dem die meisten von uns den größten Teil ihres Lebens existieren. Das Leben ist verwirrend. Gut und schlecht geraten die ganze Zeit durcheinander. Die meisten Menschen leben, ohne je einen dicken Preis dafür zu bekommen, dass sie irgendetwas vollbracht haben. Deshalb verleihen wir die Ig-Nobelpreise. Gewinnt man einen, kann man sicher sein, irgendetwas vollbracht zu haben.“

Warum, muss man allerdings fragen, sollen diese Forscher des Abseitigen durch einen Preis am Nachdenken über die Welt gestört werden? Werden sie nicht durch das Licht der Öffentlichkeit abgeschreckt, ins Dunkel des Wissens vorzustoßen? Oder ist es gar umgekehrt? Ganz nettes Forschungsthema eigentlich.

KONRAD LISCHKA