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Des Boxers Buntbarsch

Heute kämpft der jüngere der Klitschko-Brüder, Wladimir, in Köln gegen den Bruderschreck Chris Byrd um die WM nach WBO-Version und will die Laichzone im Familienteich wieder großflächig abstecken

von MARKUS VÖLKER

Die Buntbarsche, zum Beispiel. Sie führen einen erbitterten Konkurrenzkampf, fighten um die Vorherrschaft im Tümpel. Nach dem Streit verändern sich beide Kämpfer rasch. Der Sieger wandelt sich zu einem bunt schillernden Gecken, dessen Hirnzellen auf das Vielfache anschwellen, sein Skrotum übrigens auch. Der Verlierer mutiert zu einem grauen Nichts, seine Zeugungsfähigkeit geht gegen Null.

Der Mensch ist des Menschen Wolf, der Boxer hingegen des Boxers Buntbarsch. In einem Käfig der Sensationen wird ein Kampf ausgetragen, den das Protoplasmatierchen ebenso durchzustehen hatte wie der Säbelzahntiger oder der Troglodyt in einer Höhle des Urstromtals. Traditionen pflanzen sich fort und wachsen. Sie werden von ihrem barbarischen Ursprung befreit und der zivilisatorischen Restverwertung zugeführt. Dort bezwingt sie ein strenges Regelwerk. Das Ziel, dem anderen das Leben sinnlos zu machen, geht dabei in den meterdicken Firnisschichten der Postmoderne unter. Nur im Korsett Paragrafen schwingender Kerkermeister darf das Schlaglicht auf von brutaler Schlaghärte blutende, geschwollene Häupter gerichtet werden. Im Beisein semiprominenter Schickeria wird ein Sport auf die Bildschirme geworfen und der Boxsklave aus den Lasterhöhlen. „Es ist ein schrecklicher Sport, aber es macht Spaß ... Der Kampf geht ums Überleben“, wusste Rocky Graziano von seinem Broterwerb zu berichten.

Worauf die einleitenden Worte hinaus wollen: Heute Abend schlagen sich in der Kölnarena Wladimir Klitschko und Chris Byrd. Sie verstehen sich im Kampf um den WBO-Titel in der Traditionslinie des uralten Konkurrenzkampfes. Der findet nicht nur im Seilgeviert, sondern schon davor statt. Byrd sagt: „Ich weiß, dass nach diesem Fight alle weinend nach Hause gehen werden.“ Byrd spricht aus Erfahrung. Anfang April sorgte der US-Amerikaner für arg larmoyante Stimmung im Hause Klitschko. Byrd (30) hatte den älteren Klischko, Witali (29), ein bisschen vermöbelt. Der gab auf. Grund: Sehnenriss in der Schulter.

Ärgerlich: Die Klitschkos drängten auf den großen amerikanischen Markt. Nach dieser Aufgabe höhnte man in Übersee nur über „den unbeweglichen ukrainischen Bären“. Der Pay-TV-Sender HBO, der just das Desaster einfing, war wütend und Witali untröstlich, immerhin bot ihm sein Bruder Wladimir (24) eine Schulter zum Verweilen. Der Kleine übte Fama, stellte die „Ehre der Familie“ wieder her, indem er seine nächsten Gegner niedermähte – David Bostice (USA) durch Knock Out nach 1:27 Minuten, dessen Landsmann Monte Barret ebenfalls durch vorzeitigen Abbruch. Schließlich war Witali dem Bruder auch schon mal beigesprungen, als der vor zwei Jahren überraschend in Kiew Haue von Ross Puritty bekam.

Aber: Seit über einem Jahr ging Wladimir nicht über mehr als sieben Runden, nie kämpfte er gegen einen wie Chris Byrd, dessen Körpermaße zum Irrglauben führen, er sei unterlegen. Byrd ist zwölf Zentimeter kleiner und 15 Kilogramm leichter als Wladimir. Der Mann aus Flint in Michigan ist aber ein „Stinker“, wie es in der Branche heißt. Er boxt unangenehm, tändelt herum, weicht blitzschnell aus, greift überfallartig an – und: er ist ein Rechtsausleger, gefährlich für jede linke Führhand. „Ich flutsche im Ring herum, ich bewege mich schnell, ich entmutige meine Gegner“, spricht Byrd. Jean-Marcel Nartz, Matchmaker aus dem Stall Sauerland, sagt: „So einen verflichtet man eigentlich nicht als Gegner. Der stinkt schon, wenn er ins Flugzeug steigt.“ Fritz Sdunek hat mit seinem Schützling Wladimir hart an der Kondition gearbeit. Mehrere Sparringspartner wurden verschlissen. Der Coach meint, noch nie seien Wladimirs Werte so gut gewesen. Aber die Simulation der Byrd’schen Taktik fiel schwer. „Byrd kann man schwer kopieren“, sagt Sdunek. Man wolle den eigenen Kampf kämpfen – wohl über die volle Zeit.

Wladimir plustert sich anders auf als Byrd. Er mimt den Coolen, nicht ohne den beherrschten Gesichtszügen ein wenig Understatement beizumischen. Schwer vorstellbar, dass die Fassade des Ukrainers von jenem hampelnden Spaßmacher, diesem Teddybären Chris Byrd, eingerissen werden kann. Überdies verkündete Wladimir, er sinne nicht auf Rache. „Er hat keinen Hass, will er auch gar nicht, weil sonst sein Kopf nicht frei wäre“, erläutert Sdunek. Premiere World wirbt für seine Übertragung (22.15 Uhr) mit dem Slogan: „Die Rache des Bruders“. Byrd findet die Situation einzigartig, erst gegen den einen und dann den anderen Bruder kämpfen zu können, und meint, dieser jetzt sei schwächer. Wie so oft im Berufsboxen treffen zwei Sieger aufeinander. Byrd hat in 32 Kämpfen nur einmal, gegen den Nigerianer Ike Ibeabuchi, verloren. Wladimir Klitschko gewann von 35 Fights 34, davon 32 vorzeitig. Den Gewinner erwarten lukrative Zeiten. Mit Lennos Lewis (Weltmeister bei WBC und IBF), Evander Holyfield (WBA) oder Mike Tyson im Ring lässt sich die Schlaghand vergolden. Noch schillern beide, Byrd und Klitschko d. J., buntscheckig und strahlend. In der Nacht zum Sonntag bekommt einer der beiden Probleme mit seinem Hirnvolumen und seiner Potenz. Der ist dann der Graubarsch im hässlichen Tümplein.

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