Auf den Trichter gekommen

Nach Jahren harter Arbeit ist er wahr geworden: Der Traum vom Spermaschloss

Ein kleiner Tropfen genügt. Innendrin ist ein Sensor, der den genetischen Code prüft

1994 war Rolf Kosse noch ein gebrochener Mann – ein Langzeitarbeitsloser, der achtmal nacheinander seinen Fahrradschlüssel verloren hatte und zweimal sogar verhaftet worden war, als er versucht hatte, sein eigenes Fahrradschloss mit einem Bolzenschneider zu knacken. „Da hab ich mir gedacht: Jetzt ist Schluss. Jetzt baust du dir selbst ein Schloss. Und zwar eins, für das du keinen Schlüssel brauchst.“

Natürlich hatte der rastlose Erfindergeist des Menschen schon viele solcher Schlösser ersonnen, billige Zahlenschlösser ebenso wie teure elektronische, die den Fingerabdruck, die Handlinien, die Iris oder die Stimme des rechtmäßigen Eigentümers erkennen. Doch Kosse war das nicht gut genug. Er wollte etwas eigenes. Er machte sich ans Werk.

Fünf Jahre später war er fertig. Vor ihm, auf dem fleckigen Tapeziertisch in Kosses Zweizimmerbude in Hamburg-Veddel, lag ein Fahrradschloss, für das man keinen Schlüssel brauchte, sondern eine Samenprobe.

„Der Mechanismus ist eigentlich ganz simpel“, sagt Kosse und deutet auf den kleinen Trichter im Riegel des Prototyps. „Hier kommt das Sperma rein. Es kann auch was danebengehen, das macht nichts. Ein Tropfen genügt. Innendrin ist ein Sensor, der den genetischen Code prüft. Wenn es der richtige ist, sendet der Sensor ein Signal weiter, und das Schloss geht auf.“

Er lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck Sekt und schaut aus dem Wohnzimmerfenster seines Eigenheims in Poppenbüttel. „Der erste Sensor hat noch eine Woche gebraucht, um das Sperma zu erkennen. Da war die Elektronik nicht ausgereift. Heute geht das in Sekunden.“ Das Telefon klingelt. Kosse nimmt eine Bestellung entgegen: Ein Fahrradladen in Bielefeld will zwanzig Spermaschlösser in Kommission nehmen.

Fast unlösbar war am Anfang das Problem, für die ersten Testreihen an Spendersamen zu gelangen. „Ich brauchte ja möglichst viele verschiedene Proben. Aber meine Kumpel haben nur gelacht“, sagt Rolf Kosse leise. „Alle beide. Heute weiß ich, dass das keine richtigen Freunde waren. Nur so Saufbekanntschaften halt. Um Samen ranzuschaffen, musste ich in Peepshows gehen und das Zeug mit dem Teelöffel vom Kabinenfußboden kratzen. Ich bin ja Hetero, sonst wäre das wohl einfacher gewesen. Die große Wende kam erst, als die Volkswagenstiftung in das Projekt einstieg. Da flogen mir auf einmal die Forschungsgelder um die Ohren. Aber nicht lange! Irgendein spießiger Saftsack von der Stiftung drehte auf einmal den Geldhahn zu, und da saß ich dann mit meinem Traum vom Spermaschloss . . .“

Rolf Kosse machte auf eigene Faust weiter. Die ersten fünf ausgereiften Spermaschlösser verkaufte er auf einem Flohmarkt im Hamburger Schanzenviertel: „Die gingen weg wie warme Semmeln. Da wusste ich, dass ich einen Joker gezogen hatte.“ Fortan stellte Kosse ein Spermaschloss nach dem anderen her und klapperte Fahrradgeschäfte ab, wo er sie an den „Mann“ zu bringen hoffte. Die Händler waren skeptisch, doch die Kunden belehrten sie eines Besseren. „Anfangs funktionierte das ganz stumpf über Mundpropaganda: Hey, kuck mal, da ist ein Fahrradschloss, wo man reinwichsen muss, damit das aufgeht! Ist ja auch praktisch. Ich meine, für Männer. Das eigene Sperma hat man ja immer dabei. Dann kamen die ersten Berichte in der regionalen Presse, und heute ist das ein Selbstläufer, auch wenn es immer noch viele Leute gibt, die keine Ahnung von meinen Spermaschlössern haben. Ich bin für jede Form von Publicity dankbar. Aber ich lasse mich nicht verbiegen. Entschuldigen Sie. Telefon.“

Wieder ist ein Fahrradhändler an der Strippe. Er ruft aus Münster an und will wissen, wie die katholische Kirche das Spermaschloss beurteile. „Halt’s Maul, Paul“, sagt Rolf Kosse und legt einfach auf. Er hat es nicht mehr nötig, sich bei aller Welt lieb Kind zu machen. Er sei „härter geworden“, seit er Geschäftsmann sei, sagt er und wirft mit der leeren Piccoloflasche nach der Katze, die gerade etwas auf den Teppich erbricht. „Die New Economy ist kein Honiglecken“, fügt Rolf Kosse noch hinzu, als er mich zur Haustür bringt. In der Garageneinfahrt steht ein funkelnder schwarzer Porsche, der von einem Tamilen gewaschen wird. „Heute brauche ich kein Fahrrad mehr“, sagt Kosse und lacht, wobei man das Braune an seinen Zahnhälsen sieht. „Machen Sie‘s gut. Und nicht zu oft!“

Sollten Ihnen im Weichbild Ihrer Heimatstadt männliche Kreaturen auffallen, die rubbelnd und zuckend an einem Fahrradständer stehen, dann sind es vermutlich zufriedene Kunden von Rolf Kosse. Wenn Sie auch einer werden möchten, wenden Sie sich einfach an den nächsten Fahrradhändler. Der weiß Bescheid. GERHARD HENSCHEL