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Formschön und lustlos

Die All Saints sind die Spice Girls für Erwachsene – nur verstehen sie sich als Band, nicht als Girlgroup

von ARNO FRANK

Wer nichts zu sagen hat, muss das bekanntlich besonders laut tun. Als sich das britische Vokalquartett All Saints vor drei Jahren mit ihrer Nummer-1-Single „Never Ever“ aus dem Windschatten der Spice Girls löste, genügte ihnen das nicht – also schalteten sie die Boulevardpresse ein. Die schwangere Melanie Batt ließ sich nackt fürs Massenblatt Sun ablichten, Nicole Appleton turtelte fotogen mit Robbie Williams, und in jedem Interview stellten sie klar, dass sie die Spice Girls hinter sich lassen wollten. Nun, da der Überholvorgang beendet und das neue Album „Sinners And Saints“ auf dem Markt ist, können sie sich zurücklehnen und – schweigen. Natürlich nicht, ohne hin und wieder neue Zutaten in die Gerüchteküche zu werfen: Sie trennen sich! Shazney hat was mit Leonardo Di Caprio! Sie trennen sich doch nicht!

Dass auch das Nichts möglichst aufwendig verpackt sein will, gehört zu den Grundregeln des Pop-Geschäfts. Und so residieren die neuen Säulenheiligen des britischen Pop im ebenso hippen wie noblen Londoner Paramount Hotel. Der Lift zur Suite will mit der optischen Täuschung kreisender Galaxien ein Fahrstuhl zu den Sternen sein – gestaltet vom Designer Philipp Starck, wie das ganze Hotel, die Lounge, die Rezeption, die Zimmer und auch der Kunststoffsessel, auf dem der Journalist schließlich Platz nehmen darf. Davor, statt eines Tisches, ein gewaltiges Ei aus geschliffenem Stein, so formschön wie nutzlos. Gegenüber ein tiefes weißes Ledersofa, auf dem Melanie Batt und Nicole Appleton Rede und Antwort sitzen – so formschön wie lustlos. Melanie wiegt mit Mutterstolz pausenlos Töchterchen Lilyelle auf den Knien, Nicole hockt daneben und zupft ihr blaues Topp unter Nabelhöhe zurück, wenn es hochgerutscht ist. Es rutscht gerne und oft.

Die übliche Aufteilung von Boy-/Girlgroups – hier ist die Zickige, da die Süße, dort die Schüchterne und dies die Wilde – ist bei den All Saints einem anderen Modell gewichen: Shazney Lewis darf, wenn die Produzenten ein Stückchen zur Seite rutschen, hin und wieder an den Songs mitschreiben und sorgt so für zumindest rudimentäre Glaubwürdigkeit. Den anderen drei bleibt die mindestens ebenso wichtige Aufgabe der Repräsentation: Süß rumsitzen, süß lächeln und süß die Stirn runzeln, wenn’s hart kommt. Nicole, die Ex von Robbie, beherrscht diese Übungen aus dem Effeff: „Wir sind keine zusammengekaufte Fußballmannschaft. Sondern eine Band, in der nur Frauen spielen. Wie die Bangles!“, sagt sie. Die Bangles allerdings hatten mit geschliffenem Pop von sich Reden gemacht, ihr Aussehen war zumindest sekundär.

Bei den Allerheiligen verhält sich’s umgekehrt, wie der gut geschüttelte und teuer produzierte Wohlklang ihres Albums demonstriert: Effektreicher R ’n’ B mit Pop-Appeal, zum Teil produziert von William Orbit, der schon die jüngsten Platten von U2 („Pop“) oder Madonna („Ray Of Light“) vergoldet hat. Um nicht allzu sauber zu erscheinen, coverten – und killten – sie einst die Junkie-Hymne „Under The Bridge“ von den Red Hot Chili Peppers. Und um nicht allzu ignorant zu wirken, spielten sie in Dave „Eurythmics“ Stewarts Kunstfilm „Honest“ die Hauptrollen. Der Film floppte zwar und kommt in Deutschland gar nicht erst in die Kinos: „Aber es hat Spaß gemacht, mit Dave zu drehen“, leiert Mel, ihrer Tochter zugewandt. Außerdem schauten sie sich, sagt kichernd Nicole, „gerne gemeinsam Pornos an“. Film ist Film, soll das wohl heißen.

Ob es sie denn nicht in stillen Stunden stört, Personen von öffentlichem Interesse zu sein? Vielleicht ist es die ehrlichste Antwort, dass sie die Frage nicht verstehen. Stattdessen gibt’s von Nicole ein Lächeln vom Typ „entwaffnend“ und die Information, sogar die Prinzen William und Harry hätten ihre Zimmer mit All-Saints-Postern tapeziert: „Hat mir Prince Charles verraten.“ So plappert und quasselt es aus ihnen heraus und könnte immer so weitergehen, würde Lilyelle nicht langsam quengelig.

Auch auf die Frage, ob sie sich eher als Künstlerinnen oder als Entertainerinnen verstehen, verschenkt Nicole ein schulmädchenhaftes Strahlen: „Also“, sagt sie gedehnt und dreht ihre blonden Locken um die Finger, „wir haben eine sehr gute Bühnenpräsenz ...“ Dann befreit sie spontan Mel von Lilyelle, und beide knuddeln und kitzeln das Kind, bis es ein bisschen weint. Es ist hoffnungslos, hier Selbstreflexion zu suchen. Ebenso könnte man eine McDonald’s-Verkäuferin fragen, ob sie sich als Botschafterin oder Opfer der Globalisierung begreift. Die hätte dazu vielleicht sogar etwas zu sagen.

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