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Solidarität und Solitätärä

Viel Beutelschneiderei wurde betrieben im Namen der Solidarität, und ein bisschen klappt es immer noch. Die Religionen kommen und gehen, ihre Essenz, der Klingelbeutel, bleibt bestehen. Die ethische Selbstbeschwörung, die das Wort Solidarität impliziert, führte allerdings auch zu viel Ulkigem wie dem Einparken für den Frieden

von WIGLAF DROSTE

Wenn ein lange überstrapazierter Begriff verschwindet, tut das wohl. Wie oft wurde sie beschworen und beschrien, die Solidarität: „Hoch die inter-natio-naa-le So-li-da-ri-tät!“ Es klang nicht gut – phrasenhaft, dröhnend, muffig und auch verzweifelt, als müssten sich die Beschreier vor allem selber von der Kraft ihrer Parole überzeugen. Unvergessen ist das millionenfach repetierte Diktum „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“ Der Kitschsatz wird Che Guevara angelastet, der, je toter er ist, immer mehr als Jesus für Linke aufschimmert. Hört man den Satz, ist man sofort im miesen Romänchen: „ ‚Soli- darität ist die Zärtlichkeit der Völker, Schätzchen‘, orgelte Don Alfonso. Der ölige Haciendiero lächelte vieldeutig und schob seine Hand zwischen die Schenkel der minderjährigen Magd Maria, die in wilder Verzweiflung nach einer Heugabel griff, die sie sich vom Munde abgespart hatte ...“ Oder so ähnlich.

Das Unangenehmste an dem Wort Solidarität ist das moralisch Erpresserische, das es verströmt: Wie, Sie abonnieren diese Zeitung, der es schlecht geht, nicht, Sie Schuft? Sie haben also nichts übrig für eine bessere Welt? – Viel Beutelschneiderei wurde betrieben im Namen der Solidarität, und ein bisschen klappt es immer noch. Die Religionen kommen und gehen, ihre Essenz, der Klingelbeutel, bleibt bestehen.

Ganz finster wird es, wenn Daumenschrauben gesellschaftlich verordnet werden. Das staatlich organisierte Gutsein hat etwas von Winterhilfswerk, von Blockwart und Fleischmarken, auch wenn es umgetopft und Volkssolidarität genannt wird. Ein Staat, der seinen Angehörigen Sonderschichten abverlangt, macht sie zu seinen Insassen.

Auf freiwilliger Basis ist das Ackern für andere eine hochraffinierte Form der Eitelkeit. Ich erinnere mich an eine Redakteurin dieser Zeitung, die in den Achtzigerjahren ihren Urlaub in Nicaragua verbrachte, um dort Extraschichten abzuleisten. Was die im Kaffeepflücken völlig ungeübte Frau den Nicaraguanern – damals knuffig „Nicas“ genannt – einbrachte, dürfte gegen null tendiert haben, ihr moralischer Gewinn aber war ungeheuer groß – sie war so gut wie unangreifbar. Kein Wunder, dass sie „die Petra Kelly der taz“ genannt wurde.

Wer von Leben und Stil nichts weiß, flüchtet sich ins Engagement. Die eingesetzte Kraft wird in Macht verwandelt. Leuten, die ihr Leben und Tun dergestalt moralisch aufladen, ist nicht zu trauen. Protestantische Arbeitsethik, die stärkste Waffe des Pietcong, führt zu nichts Gutem. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, heißt es da. Oder: Wer saufen kann, der kann auch arbeiten. Das ist nun ein ganz großer Quatsch. Wer gesoffen hat, muss ausschlafen! Was soll denn die Welt mit einem taumeligen Katerkopf, der wegen der teuflischen Mischung aus Alkohol-Abusus und Schlafmangel nicht nur alles zu Schanden und in Klump wurschtelt, sondern auch noch ganz und gar misslaunig und unausstehlich ist?

Die ethische Selbstbeschwörung, die das Wort Solidarität impliziert, führte allerdings auch zu viel Ulkigem. Schon in den Achtzigern wurden Solidaritätsveranstaltungen aller Art von ihren solidaritätsmüden, aber gutwilligen Besuchern als „Soli-Saufen“ rubrifiziert. Analog scherzte man vom Einparken für den Frieden, vom Knutschen für Gerechtigkeit und vor allem frühmorgens vom Liegenbleiben für eine neue und bessere Welt.

Besonders geeignet als Solidaritätserpresser sind Kommunisten – die größten Euphemisten, die sich je selbst schufen. Jede noch so vergeigte Sache vermögen sie golden anzupinseln und so umzumünzen, dass eigentlich wieder einmal ein Sieg herausgesprungen ist, wenn man ihn auch mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Meldet man Zweifel an, folgt automatisch dieses gedehnte, selbstgefällige „Jaaah, aaber ...“, allenfalls werden ein paar „Mühen der Ebene“ eingeräumt, und dann biegen sie die Geschichte so hin, dass sie, wenn sie nicht gewonnen, so aber doch historisch Recht haben. Trostlose Leute, die einen – einer BDI-Veranstaltung nicht unähnlich – zu dem Schluss kommen lassen: Wenn es irgendeine internationale Solidarität gibt, dann ist es die der Arschgesichter. Auf keinen Fall soll der Kaltherzigkeit und den Leuten mit dem geizigen Gang das Wort geredet werden. Nur ist Solidarität ein so großes und so ausgelutschtes Wort – reicht nicht Hilfsbereitschaft? Also die Einsicht, dass einer, der stärker ist als andere, sich kümmern muss – aber doch nicht volle Kanne Soli um alle. Seine Familie sucht man sich selbst aus, dabei zählen die Bande des Blutes ebenso wenig wie irgendein nationaler, patriotischer Murks. Man hilft, wo man will und wo man kann. Das Gute im Menschen ist doch eher dieses: Zweifel säen am Aktionismus, auf die Bremse treten und nicht immer aufs Gaspedal, gutes altes Sand-im-Betrieb-Sein, es ganz piano angehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Das Dickwort Solidarität ist dabei überflüssig. Ohnehin lud es zur Verlogenheit ein, zu Pathos und Etikettenschwindel. Jetzt verschwindet es, und das ist gut. Tschüssikowski, Soli! Mach et joot.

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