: Fidel und die taz
Reicht den Schreibern hier ihr Handwerk nicht? Wie eine kleine Zeitung die Revolution am anderen Ende der Welt und den Tante-Emma-Laden um die Ecke retten wollte
von ROBIN ALEXANDER
„BRAVO !!!!“ Grenzenlose Begeisterung jagte Sven J. aus Dortmund durchs Internet nach Berlin, kaum stand die aktuelle Ausgabe der taz im Netz: „Super, was Ihr heute gemacht habt.“ Und Peter aus der Region Marburg schwärmte: „ . . . die taz ist trotz aller Schwächen doch immer wieder klasse!“ Wie in alten Zeiten.
Zwei dicke Hefter solcher „Reaktionen auf Zett-Kampagne“ hängen im Konferenzsaal der Kochstraße 18. Bei dieser Leserpost kommt mancher Redakteur ins Staunen, wird Nazitum doch täglich in der taz beschrieben und analysiert. Für Verzückung sorgt aber erst der Appell „zum gemeinsamen Handeln“: Mit einem orangefarbenen Z sollen Gutwillige „Zivilcourage signalisieren“.
„Gemeinsames Handeln“ organisiert Petra Groll nicht zum ersten Mal für die taz. Die taz.mag-Redakteurin und Z-Kampagnen-Initiatorin spricht von einer „guten Tradition des Einmischens dieser Zeitung“. In der Tat ist kaum zu glauben, wofür die kleine taz sich und die Leser nicht alles eingespannt hat: Für radikale Gefangene und menschliche Polizisten, Terroristen und Öko-Pfarrer aus der DDR, den irgendwie in den Häuserkampf geratenen Drogerieladen „Siebeneich“, verfolgte Kollegen in Berlin und am anderen Ende der Welt.
Auch die Konkurrenz weiß: Kontonummern machen sich gut neben Katastrophenberichten. Aber nur die taz schickte sechs Jahre nach Tschernobyl einen Reporter „mit unserem Hilfstransport ziemlich dicht ran“ an die verstrahlte Zone. Als der Wirbelsturm „Joan“ nicht nur die Gebäude an Nicaraguas Ostküste zu Kleinholz machte, warb die taz: „Schulen für Bluefields“. Der vor Ort gesandte Tonio Milone fand nicht einmal mehr eine Bank, wo er den Erlös einzahlen konnte, erzählen sie in der taz noch heute. Im sandinistischen Nicaragua, Objekt aller revolutionären Sehnsüchte der westeuropäischen Linken in den 80ern, vergaßen auch einige Tazler jede journalistische Zurückhaltung. Natürlich für die gute Sache. Delegierte der Regierung planten neue Schulen, Kuba stellte Material, die taz kam für Baukosten auf. Die Zwischenüberschriften zum Bericht „unseres Verbindungsmannes“ erinnerten schon fast ans Neue Deutschland: „Fidel Castro und die taz Hand in Hand“.
Das war 1988, irgendwann lange vor unserer Zeit. „Damals war es vielleicht ja eine Funktion der taz, politisierten Menschen Handlungsmöglichkeiten zu geben“, überlegt Heide Oestreich, Redakteurin im Inland. Aber heute? Dunkle Schatten unter ihren braunen Augen zeugen vom Engagement der 33-Jährigen für die Zeitung – „keiner arbeitet hier, der sich nicht mit dem Blatt identifiziert“ –, aber früher muss es anders gewesen sein. Gern wird der Soziologe Ulrich Beck zitiert: „Die Neuen sozialen Bewegungen kommen, vor allem aber gehen sie.“ Manche frühere Aktion der taz würde heute so bizarr wirken wie die alternative Kultur der 80er-Jahre. „Es mag ja mal so etwas wie Gegenöffentlichkeit gegeben haben, heute ist die taz am linken Rand, aber im ganz normalen Medienspektrum“, so Oestreich. Heute kommen tazler eher von den Journalistenschulen der großen Verlage als aus einem irgendwie gearteten linken Milieu.
Ein Überbleibsel davon finden Oestreich und ihre Kollegen im Bedarfsfall drei U-Bahn-Stationen von der Redaktion entfernt. In Büroräumen des Bundestages sitzt Christian Ströbele in grünen Socken mit rotem Bündchen unter seinem eigenen Wahlplakat. Die schwarzen Konten der CDU versucht der taz-Geburtshelfer, Anwalt und Grüne im Untersuchungsausschuss aufzuklären. Wie viel Geld Kohl wohin fließen ließ, wird kaum ermittelbar sein.
Die „erfolgreichste und umstrittenste Sammelaktion der Neuen Linken“ jedoch kann bis auf den Groschen abgerechnet werden. 4.737.755, 10 Mark. Eingesammelt von der taz von 1980 bis 92, von Mitarbeiten in kleinen Scheinen nach Übersee gebracht, gegen Quittung in konspirativen Wohnungen übergeben. Nicht für Katastrophenopfer, nicht für Schulen. „Waffen für El Salvador!“, hieß der Aufruf am 3. November 1980, und Ströbele spricht noch heute vom „Kampf des Volkes“, wenn er die längst aufgelöste Guerilla FMLN meint. Was das mit Journalismus zu tun hatte? „Mit einem noch so gut geschriebenen Artikel hätte man dieses Maß an Aufmerksamkeit nicht erreicht.“ Der Streit um die Bewaffnung einer Organisation, die nicht nur Militär und Todesschwadronen bekämpfte, sondern auch interne Konflike blutig austrug, reicht bis heute.
„Ein nie ausrecherchierter Skandal“ sei das Ganze gewesen, schimpft Max Thomas Mehr am Telefon. Gleichzeitig Siedepunkt und Bruchstelle scheint die „Waffen-Kampagne“ im Bewusstsein der taz gewesen zu sein. Lang ist das her, aber mancher, der die taz längst verlassen hat, scheint noch heute um Abstand zu ringen. Kind und Kegel und die harte Fron des freien Journalismus schiebt Mehr vor, um nicht über „dieses Thema, das mich wirklich nicht mehr interessiert“, sprechen zu müssen. Im gleichen Atemzug bittet er, einen Text zum Thema gefaxt zu bekommen.
Im 3. Stock der taz, wo sie täglich um die aktuelle Produktion ringen, ist die Kontroverse von gestern kein Thema. Dabei haben auch die Jungen im Großraumbüro einschlägige Erinnerungen. „Waffen für Salvador ist jedem in den 80ern eingefallen, wenn er das Wort ,taz‘ hörte“, erinnert sich Heide Oestreich an ihre Schulzeit. „Das polarisierte. Da musste man dafür oder dagegen sein.“ Ihre eigene Haltung will ihr nicht mehr einfallen. Heute eine Meinung zu entwickeln, scheint überflüssig. „Befreiungsbewegungen? Unsere Auslandsredakteure schreiben über Warlords. Wer sind denn heute die Guten?“
Ohne vermeintliche politische Nähe keine Solidarität. Conny Gellenbeck, die heute die taz-Genossenschaft betreut, formuliert aus dem Stegreif präzise, wie eine, die diese Gedanken schon mehr als einmal erwogen hat: „Früher hat die taz nicht die Bedürftigkeit des Einzelnen gesehen, sondern eher die Parolen“, sagt Gellenbeck. Bei der aktuellen Nachrichtenlage drängt sich in der ganzen Welt kaum eine Bewegung zur vorbehaltlosen Unterstützung auf. Sie lächelt resigniert: „Heute denken wir zu wenig in Perspektiven. Niemand weiß, wo man noch politisch ansetzen kann.“
Dabei läuft so manche taz-Aktion seit Jahren erfolgreich. Gellenbeck erinnert sich, wie vor jedem Weihnachten und Osten in den 80ern die Aboabteilung nächtelang Pakete für Gefangene schnürte. Neben Kaffee und Schwarzer Krauser wurden natürlich Zeitungen in den Knast geschickt. Die Insassen konnten ihre Antworten als „Briefe in der taz“ im Blatt wiederfinden. Aus diesen Anfängen entstand die Aktion „Freiabos für Gefangene“ – die ermöglicht heute 700 Gefangenen täglich die Lektüre der taz. Mittlerweile beteiligen sich auch andere Zeitungen.
Die taz ist mehr als die in ihr beschäftigten Journalisten. Schreibtisch und Visitenkarte gibt es auch für den Politkaktivisten Christian Specht, der nicht in die tägliche Produktion eingebunden ist. So was zahlt sich für die taz aus. Etwa Mustafa, eineinhalb Jahre im Archiv beschäftigt: „Er war damals illegal hier und wollte auf keinen Fall nach Burkina Faso zurück“, erinnert sich Randy Kaufman. „600 Kisten hat er für unseren Umzug aus dem Keller der Wattstraße in die schrägen Dachkammern der Kochstraße verpackt. Redakteure waren für diese Arbeit schwer zu motivieren.“ Als Mustafa schließlich doch Deutschland verlassen musste, sammelte ein Freundeskreis Startkapital für eine Hühnerfarm im Burkina Faso. Leider wurden Mustafas Soli-Hühner bald darauf von einer Seuche hinweggerafft.
„Die taz ist nicht nur zur Vermittlung von Nachrichten gegründet worden. Und sie muss unbedingt wieder mehr als Nachrichtenvermittlerin werden!“ Christian Ströbele, der Politiker, mag die taz partout nicht aus dem Anspruch entlassen, ebenfalls Politik zu machen. Die jetzige Kampagne Z sieht er als „kleinen Schritt in die richtige Richtung“. Das Outing prominenter rechter Rattenfänger auf der Titelseite und ihrer Stichwortgeber in den etablierten Parteien im Rahmen der Z-Kampagne gilt vielen tazlern als Scoop. Die Aufrufe zum T-Shirt-Tragen, Button bestellen und „sich vernetzen“, lösen weniger Begeisterung aus. Man ist eben doch zum Schreiben hier.
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