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Schwerpunkt im Oberbauch

Der Vorstandschef von Gruner+Jahr wirft das Handtuch, weil er seine LeserInnen einfach nicht mehr ertragen kann  ■ Von Peter Ahrens

Gerd Schulte-Hillen gibt auf. Der mächtige Vorstandschef des mächtigen Hamburger Verlages Gruner+Jahr will nicht mehr. Morgen feiert er Abschied in den Deichtorhallen – offiziell, weil er das entsprechende Alter erreicht hat. Eine komplett vorgeschobene Version – in Wirklichkeit hat Schulte-Hillen vor der G+J-LeserInnenschaft kapituliert. Wie Axel Caesar Springer dereinst unter seiner Bild, so litt Schulte-Hillen zeitlebens unter denen, die seine Magazine goutierten. Der Zeitschriftenleser – die Nervensäge des 21. Jahrhunderts. Eine Leserbrief-Stichprobe in der bunten G+J-Welt vom vergangenen Monat.

Beispiel Malte Sprenger aus Düsseldorf-Oberkassel. Er hat in der Kunstzeitschrift Art Teile eines Artikels über „tibetanische Kulturzeugnisse in Indien, Nepal und Bhutan“ als „völlig unzureichend“ entlarvt. So sei „die vermeintliche Liebesszene in Wahrheit die Manifestation der höchsten spirituellen Essenz, nämlich Paramasukka-Chakrasamvara“. Er schließt die „dringende Bitte an Sie“ an, „jeweils einzelne Themen oder auch Orte, wie zum Beispiel den Klosterkomplex Alchi in Ladakh, kompetent zu kommentieren“.

So einer wie Sprenger versteht sich bestimmt gut mit Frederik Eix aus Steinbergen, der einmal beinahe sein National Geographic-Abo gekündigt hätte, so sehr erboste ihn ein Artikel über Quallen: „In Ihrem Artikel blieb eine Quallenart unerwähnt: die Würfelqualle Chironex fleckeri, die schon manchen Menschen umgebracht hat. Das sind doch wichtige Fakten, die unbedingt in einen solchen Artikel hineingehören!“

Empörung bricht über die Zeitschrift auch von anderer Seite herein, nämlich aus dem fernen Lakewood, Colorado, von Mr. Wallace R. Hansen. Er erregt sich darüber, dass „es momentan Mode unter den Paläontologen ist, zweibeinige Saurier mit gebücktem Kopf in beinahe horizontaler Haltung darzustellen“. Wobei man doch wisse, dass „der Schwerpunkt nicht im Thorax-Oberbauch-Bereich, sondern im Beckenbereich“ gelegen habe. Und aus Erfurt tönt es von Christian Albrecht: „Die generalisierte Aussage, dass mit dem Deichbauvorhaben das Ende des Hornmohns in Deutschland besiegelt wäre, muss als propagandistisch bezeichnet werden.“ Geradezu mild dagegen der Tadel aus Lüchow von Rainer Rehfeld: „Meines Wissens war Sir Hillary nicht Engländer, wie Sie schreiben, sondern Neuseeländer.“

Aber es gibt ja nicht nur Kritik, sondern auch Lob und Ratsuche. Noch einmal National Geographic: Siegfried Derno aus Krakow am See schwelgt: „Mit jedem Magazin freue ich mich, zur Gilde der Geographen zu gehören. Lange nicht mehr geübte Tätigkeiten in dieser Richtung werden bei mir aktiviert und machen mir Freude in meinem Rentneralltag.“ Nora Schwarz aus Weimar fragt zweifelnd in Essen und Trinken: „Muss Gelee eigentlich immer süß sein, oder gibt es auch eine scharfe Variante, die ich zu Garnelen servieren kann?“ Und Sybille Werner aus Bad Gandersheim will in Schöner Wohnen wissen: „Im Juli-Heft vergangenen Jahres hatten Sie für einen Wohnraum einen witzigen Teppich vorgeschlagen: Er hatte statt der normalen Fransen eine originelle zinneartige Fransenkante. War das ein Einzelstück?“

Der weltläufigen politisch gebildeten Leserschaft – seigneural, distinguiert, chevaleresk – bleiben Capital und Stern vorbehalten. Capital-Leser Werner Munz aus Memmingen sorgt sich um den Wirtschaftsstandort und fühlt sich darin eins mit Chefredakteur Ralf-Dieter Brunowsky: „Endlich klare Worte. Nennen Sie weiter das Kind beim Namen. Nicht nur die Arbeitslosenpolitik, sondern das ganze Sozialstaat-Gehabe im Gießkannen-Verfahren ist doch nicht mehr zu bezahlen. Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern. Eile tut not.“ Klare Worte auch im Stern von Dr. Karl Friedrich Schäfer: „Die Fotos von Claudia Schiffer in ihrem Blatt stellen die magische Ausstrahlung des Weiblichen faszinierend dar. Kein Maler könnte das besser. Wenn die Filmregisseure das ebenso gut können, steht sie bald neben der Monroe.“

Spenden an Schulte-Hillen können auf das Spendenkonto 752 5500 bei der Volksbank Stormarn eingezahlt werden.

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