: „Definitiv keine Standards“
■ Furioser Jazz-Core-Eklektizismus: „Bablicon“ aus Chicago
Freuden des Tagesgeschäfts: Da flattert kurz vor Schluss, alle Fris-ten ignorierend, eine echte Perle im karg gewordenen Konzertgeschehen zwischen Rauhbeinigkeit und Avantgarde-Streben auf den Schreibtisch. Ursprünglich im Molotow an- und wieder abgekündigt, spielt das geradezu sträflich unbekannte Free Form-Trio Bablicon nun im ungleich kleineren Club unter der Sternbrücke.
Und da passt die Band, deren Name manch Nischenmusikinteressierte einen Moment lang aufhorchen lassen könnte (aber nein, Bablicon stehen in keiner erkennbaren Verbindung zu den mytho-anarchischen HipHop-Technikern zwischen Infesticons, dem Anticon und dem Anti Pop Consortium), vielleicht sogar noch besser hin. Denn passenderweise nahm man doch in einer Autowerkstatt unter den Gleisen der Chicagoer Hochbahn das erste Album In A Different City auf.
Die Bablicon-Mitglieder Blue Hawaii, Marta Tannae und The Diminisher sehen sich ihrerseits nicht als Teil der bisweilen etwas überfokussierten Postrock-Gemeinde, eher vielleicht dem rauheren HC-geschulten Entwurf, und schätzen am solchermaßen differenten Chicago aber das allgemein vielfältig zu habende musikalische Angebot und – nicht zuletzt – die vergleichsweise niedrigen Mieten für Wohn- und Arbeitsraum.
Bablicon interessieren sich entschieden nicht für Pop-Herangehensweisen und wollen „definitiv keine Standards“ abliefern. Kein Schritt zurück ist da, wenn sich ihre Musik kaum überambitioniert oder gar akademisch ausnimmt, sondern, insbesondere live, so Augenzeugen, als offene, durchaus unbekümmerte Angelegenheit manchen Anknüpfungspunkt bietet. Manchmal geht das so weit, dass die Zuschauer während eines Konzertes die Cover limitierter Erstauflagen gestalten, ohne es so recht zu wissen.
Solches steht heute nicht zu erwarten. Dafür wohl ein echtes Highlight, wenn die Band ihre abwechslungsreiche Nachfolge-EP The Orange Tapered Moon halbwegs zu reproduzieren beabsichtigt. Zwischen freiem Jazz und beweglicher Avantgarde, weit gefass-tem Punkrock und waghalsigem Soul geht da Erstaunliches vor sich: Orgeln dröhnen, Snaredrums klappern, dazu gutes Jazz-Saxophon, ab und an singt einer der drei sympathischen Herren; aufgegriffen, geloopt und gefiltert, kommt das aus den Maschinerien wieder hervor, bahnt sich Wege durch Rhythmuswechselhaftigkeiten und hochgetaktete Bluespatterns. Sehr gut ist das alles. (Und nächsten Dienstag sehen wir uns alle bei den Flying Luttenbachers.) Alexander Diehl
heute, 22 Uhr, Astra Stube
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