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In die Rosen gegangen

Undefinierbare Geschichte, merkwürdige Choreographie und keine Pointen: Irgendetwas stimmt nicht mit „Bloody Daugthers“, einer „Märchen-Farce“ mit Corinna Harfouch in der Bar jeder Vernunft

von JENNI ZYLKA

Schon nach wenigen Minuten fragt man sich, welche Drogen die Beteiligten, Corinna Harfouch und ihre Schwester Catherine Stoyan, der Sänger/Schauspieler Nino Sandow und der Puppenspieler Karl Huck eigentlich eingeschmissen haben. Irgendeine Art von Pilzen? Bis in die Binsen gekifft? Supermann-Trips von fremden Dealern?

Denn irgendetwas stimmt einfach nicht an „Bloody Daughters“, der „Märchen-Farce“ frei nach „Schneeweißchen und Rosenrot“, die die vier Menschen mit Hilfe einiger MusikerInnen auf die Bühne der Bar jeder Vernunft bringen wollten. Vielleicht sind es die albernen Texte, die Harfouch (Blood alias Rosenrot) und ihre Schwester (Snow alias Schneeweißchen) singen müssen und bei denen sich Rosen auf „macht euch nicht in die Hosen“ reimt: Die Texte sind nicht lustig, obwohl sie das Zeug dazu hätten, absurd zu sein – dennoch fehlt etwas: die Schläue, der Wortwitz, die Stilsicherheit.

Die Choreographie der Tänze ist ebenfalls merkwürdig, Nino Sandow, der den „Bärkeeper“ spielt, zittert meistens vor sich hin, schwülstige Gesänge über den „Sugarmoon“ wechseln sich mit dem überkieksenden Bloody-Daughters-Geschreie ab: Ja, man erkennt, dass hier geprobt wurde, schließlich machen die Schwestern alles (Tanzen, Singen, Witze erzählen) parallel und geübt und anscheinend so, wie es sein soll. Nur – soll es so sein wie beim Improvisationstheater, das aus Zurufen Sketche macht, mal passend, meist daneben?

Die Geschichte, sofern man eine ausmachen konnte („Ich komm da nicht mit“, sagt eine Tischnachbarin bei der ausverkauften Premiere kopfschüttelnd), ist das rudimentäre Überbleibsel von Grimms „Schneeweißchen und Rosenrot“: die beiden braven Mädchen, die sich ohne Mutter durch den Wald schlagen müssen und ihr Herz an einen Bären (im Märchen auch noch an einen Vogel) verlieren, der sich im Nachhinein als verzauberter Königssohn entpuppt. Aber in der „Bloody“-Version sind die beiden Mädchen, die eine hell, die andere dunkel und mit russischem Akzent, im Wilden Westen, wechseln die Männer wie die Kostüme und machen aus jeder Situation einen Song.

Zusammengehalten wird alles von einer lebensgroßen, verlotterten Handpuppe namens Sabbath, der immer irgendwo am Rande des Geschehens kommentiert. Die Schwestern bringen ihre Songs – ob nun eine Variation über die James-Bond-Textzeile „Ein Mann kommt an, er reist sehr schnell, er kommt übers Wasser“ oder ein Nick-Cave-Cover – so grotesk-unverständlich, dass man sich fragt, ob das Ganze ursprünglich vielleicht eine Wizard-of-Oz-Version für VorschülerInnen sein sollte. Aber dann würden wohl nicht so unvermittelt diese verschlüsselten Inzest-Hinweise kommen („Der Rabe wollte mit seinen Töchtern schlafen. Er versteckte sich in einem Busch und ließ nur seinen Penis heraushängen“).

Wer weiß, vielleicht ist diese Art von Unterhaltung ja die längst fällige Ablösung für die inflationäre Kabarett-Comedy-Chanson-Schiene. Und wir sind einfach noch nicht reif dafür.

Bloody Daughters, bis 19.11. jeden Mo/Di um 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft

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