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Der Fischer-Bendit-Komplex

„Sie gehören zu uns“: In seinem politischen Krimi „Die Exekution“ erzählt Wolfgang Brenner sehr aktuell von Terroristen und anderen Wiedergängern aus dem Totenreich

„Der Baader-Meinhof-Komplex“ ist der erfolgreichste politische Thriller, der je in Deutschland geschrieben wurde. Der heutige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust schrieb vor 15 Jahren nicht nur eine minutiöse Chronologie der Zeit zwischen der Kaufhausbrandstiftung und dem Deutschen Herbst, sondern befestigte auch den wichtigsten Mythos des deutschen Terrorismus: den Zweifel an den Selbstmorden Andreas Baaders, Gudrun Ensslins und Jan-Carl Raspes.

Zu den Ungereimtheiten gehörten unter anderem die „hellen Sandspuren“ an den Schuhen Baaders, die nicht aus dem Gefängnis stammten: Hatte Baader vor seinem Tod Stammheim noch einmal verlassen? Bei diesen Sandspuren setzt Wolfgang Brenner ein. Die Selbstmorde bzw. Morde von Stammheim, so die Idee, die seinem politischen Krimi „Die Exekution“ zu Grunde liegt, haben nie stattgefunden – die Leichen waren eilig herbeigeschaffte Ersatzleichen, und die Terroristen selbst bekamen eine neue Identität.

Eine erfolgreich vertuschte Aktion. Mehr als zwanzig Jahre später ist vom Terrorismus in Deutschland nicht mehr als der Mythos geblieben. Doch da findet ein Angestellter des BKA in Wiesbaden eine merkwürdige Übereinstimmung. Ein routinemäßig gesicherter Fingerabdruck gehört einem Verstorbenen: Rolf Stürmer, am 18. Oktober 1977 in Stuttgart-Stammheim ums Leben gekommen.

Die Toten sind nicht tot. Mit dem Auftauchen Rolf Stürmers, dessen Figur an Andreas Baader angelehnt ist, reißen alte Wunden wieder auf. Ein Angehöriger der rot-grünen Bundesregierung, der im Krisenstab für die Exekution gestimmt hatte, fürchtet um seinen Job, ein ehemaliger BKA-Chef geht ein letztes Mal auf Terroristenjagd, und Altbundeskanzler Schmidt nimmt sich gewohnt entscheidungsfreudig der Sache an.

Wolfgang Brenner unternimmt eine dreiviertelfiktive Zeitreise, und die Protagonisten sind zuweilen so nahe an ihren Vorbildern, dass sie zu Karikaturen werden. Man liest „Die Exekution“ also nicht, weil es ein gut geschriebener Thriller wäre (das ist es nicht!), sondern weil das Motiv der Wiedergänger aus den Siebzigerjahren wieder einmal aktuell ist. Nachdem nach der Wiedervereinigung verschwunden geglaubte Terroristen als unscheinbare DDR-Bürger auftauchten, steht in diesen Tagen in Frankfurt der Terrorist Hans-Joachim Klein wegen seiner Beteiligung am Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz im Jahre 1975 vor Gericht.

Wie in Brenners Roman werden auch hier nicht alle Politiker glücklich gewesen sein, als man Klein vor einiger Zeit in seinem französischen Versteck aufgespürt hatte: Außenminister Joschka Fischer musste bereits in einer Fragestunde des Bundestages erklären, warum er 1973 seinem Freund Hans-Joachim Klein sein Auto geliehen habe – in dem dann gestohlene Waffen transportiert wurden.

Die Verhandlung gegen Klein findet übrigens in dem gleichen Saal statt, in dem 1968 das Frankfurter Landgericht die Kaufhausbrandstifter Baader und Ensslin verurteilt hatte. Dass Innenminister Otto Schily damals einer der Verteidiger war, ist ja bekannt. Aber erinnert sich jemand, dass Daniel Cohn-Bendit damals laut „Sie gehören zu uns“ in den Saal rief? KOLJA MENSING

Wolfgang Brenner: „Die Exekution“. Eichborn, Frankfurt am Main 2000, 263 Seiten, 39,80 DM

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