„Du wirst Opfer des Strudels“

Am Montag rasten die Titel am Neuen Markt nach unten, manche verloren ein Viertel ihres Wertes. Wie fühlt sich ein Verlierer wie Kleinanleger Bernd Schäfer-Zurhelle dabei?

taz: Schlecht geschlafen? Vom Offenbarungseid geträumt?

Bernd Schäfer-Zurhelle: Zum Glück weiß ich meine Träume morgens nicht mehr. Gestern früh war mein Rechner kaputt, sodass ich mir das Desaster nicht weiter angucken musste. Ich geh zu meiner Bank, neue Euroschecks holen. Da sagen die streng: Das ist aber das letzte Mal, Herr Schäfer! Ich dachte: Was wissen die? Na ja, war nur, weil die Schecks ab 1. 1. abgeschafft werden. Ich beobachte den Aktienmarkt seit zwölf Jahren, aber Montag war der Tiefpunkt einer seelischen Talfahrt.

Wie haben Sie das verfolgt?

Ich sehe online auf die Kurse, vielleicht dreimal täglich. Am Montag öfter. Nachmittags hab ich aufgehört. Das hab ich nicht verkraftet. Finanziell stehst du, zumindest rechnerisch, als armer Mann da. Menschlich ist das eine Prüfung: durchhalten, stillhalten, Nerven behalten. Stehen bleiben ist die Kunst.

Welche Aktien haben Sie?

Ich hab viele im Spätsommer gekauft. Im festen Glauben, dass das untere Ende erreicht war. Etwa Evotec, eine Biopharma-Firma – ging bei mir noch mal 50 Prozent runter. Softbank auch 50 Prozent. Mobilcom – ist wie Mercedes, hab ich gedacht – am ersten Tag 1.000 Mark gewonnen, seitdem geht’s bergab. Montag hat sich mein letzter Anker losgerissen: Millennium. 30 Prozent Miese in zwei Tagen. Jetzt bin ich überall im Minus. Höhepunkt ist Learnout & Hauspie, ein belgischer Sprachkassettenhersteller. Steht plötzlich auf Nullkommanullnull. Ich dachte, mein Rechner ist kaputt. Aber es war die Firma. Pleite. Verlust 100 Prozent. 8.000 Mark sind weg.

Woran liegt der Crash?

Wir hören dauernd diese Scheinargumente: Unsicherheit auf den Finanzmärkten wegen eines unzählbaren US-Präsidenten. Als ob dann alle ihre Techno-Aktien verkaufen! Das ist alles irrational ohne Ende: Apple sagt vielleicht, wir haben gerade drei Computer weniger verkauft, und alles potenziert sich. Schuld sind die großen Investmentgesellschaften wie Fidelity, Invesco oder Merryl Lynch. Die schmeißen Milliarden in Minuten auf den Markt. Als Kleinanleger, der 100 Anteile loswerden will, kommt du nicht dazwischen und wirst Opfer des Strudels.

Wieso? Schnell verkaufen! Bei den Online-Banken ein Klick, und das Zeug ist weg.

Wenn du einmal im Minus bist, willst du ja nicht verkaufen. Aber selbst wenn: Ich geb als Privatmann „billigstens 75 Euro“ ein. An einem Tag wie Montag fällt der Kurs, wenn du es abschickst, schon an deiner Marge vorbei. Das ist Mathematik und Physik. Wenn einer aus dem dritten Stock einen Eimer Wasser aus dem Fenster schüttet, kannst du die Hand dazwischen halten, die wird höchstens nass. Oder sie hauen sie dir ab, aber der Eimer ist auf der Straße. Das Verhalten der Investmentbanken ist eine Schweinerei. Die bunkern eben mal ein paar Milliarden Bargeld. Cash-Positionen aufbauen heißt das. Aber ewig können sie das nicht behalten. Vielleicht bringen die meine Aktien wieder hoch. Man ist abhängig.

Und jetzt: Droht die Frau mit Scheidung? Haus verkaufen?

Ich hab ja erst mal nur Buchverlust. Vielleicht ein Viertel. Dadurch ist kein Haus weg. Okay, meine Belgier sind pleite. Das andere kommt vielleicht wieder. Was mich ärgert, dass solche kaum 30-jährigen Schnösel, die sich nie im Leben dreckig gearbeitet haben, bei den großen Firmen die Aktienpolitik machen und all die Kleinanleger mit runterziehen.

Also Finger weg von der Börse? Auch wenn alles so billig ist? Erst mal. Das ist zu heiß. Der Neue Markt war restlos überbewertet und findet jetzt seinen Boden. Der Trend geht zu den Standards, die lange als Altherrenturnschuhe dargestellt wurden.

Interview: BERND MÜLLENDER