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Ein Nazigruß unter Freunden?

Im brandenburgischen Bernau wird eine kolumbianische Familie von Rechten bedroht. Die Polizei prüft nun, ob es sich dabei um eine rechtsextreme oder lediglich um eine Beziehungstat handelt. Aus Angst gehen die beiden Kinder nicht mehr zur Schule

aus Berlin HEIKE KLEFFNER

Mit Gewalt hat die Familie Ibarra (Name geändert) so ihre Erfahrungen. Vor einem Jahr entfloh sie den kolumbianischen Paramilitärs nach Deutschland. Seit drei Wochen lebt die Familie in der brandenburgischen Kleinstadt Bernau. Doch ein Gefühl der Sicherheit, das sich die sechsköpfige Familie in Deutschland erhoffte, „das finden wir hier nicht“, klagt José Ibarra (50).

Bei einem Einkaufsbummel mit seinen zehn- und sechzehnjährigen Söhnen wurde José Ibarra am vergangenen Montag von einer Gruppe rechter Jugendlicher beschimpft. Unter ihnen erkannte der ältere Sohn Pedro eine Mitschülerin aus der Bernauer Gesamtschule.

Die Situation eskalierte. „Einer der Jungen zeigte den Hitlergruß, ein anderer machte eine Geste, als wenn er uns erschießen wolle“, berichtet José Ibarrra. Alles sei von mehreren Geschäftsinhabern beobachtet worden, so Ibarra. Aber es dauerte lange, bis der verängstigte Vater einen von ihnen überreden konnte, die Polizei zu alarmieren. Als die Polizei schließlich kam, waren die Rechten längst verschwunden.

Über das, was sich in den folgenden vier Stunden in der Bernauer Polizeiwache abspielte, gibt es unterschiedliche Versionen. José Ibarra berichtet, er habe den Beamten den Hitlergruß vormachen müssen. „Die wollten genau wissen, in welchem Winkel der Arm gehalten wurde und ob er oberhalb der Nase gehalten wurde.“ José Ibarras Eindruck: „Die Polizei war mehr an Formalitäten interessiert als an dem eigentlichen Vorfall.“

Toralf Reinhardt, Pressesprecher des zuständigen Polizepräsidiums Eberswalde, erklärt dagegen, in dem Protokoll der Zeugenvernehmung sei eine derartige Schilderung nicht vermerkt. Da es sich beim „Hitlergruß“ um ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen handele, seien die Beamten allerdings gehalten, genau nachzuforschen. „Schließlich gibt es ja auch noch den Kühnen-Gruß“, so Reinhardt. Inzwischen habe der Staatsschutz in Eberswalde die Ermittlung der Täter übernommen.

Noch sei unklar, ob es sich um ein rechtsextremes Delikt oder um ein „Beziehungsdelikt“ handele. „Vielleicht war der Hitlergruß auch als Begrüßung des kolumbianischen Mitschülers gemeint“, erklärt Reinhardt den „Beziehungsaspekt“.

Ein schwacher Trost für José Ibarra, dessen jüngerer Sohn erst vor vierzehn Tagen auf dem Weg in die Grundschule von einer Gruppe Rechter angepöbelt und verfolgt worden war. Damals hatte ein deutsches Pärchen eingegriffen und den Zehnjährigen zur Schule begleitet.

Seit diesem Montag gehen die beiden Söhne der Familie nicht mehr zur Schule. „Ein Polizeibeamter hat uns gesagt, dass für ihre Sicherheit nicht garantiert werden könne“, so der Familienvater. Ein Ratschlag, den Toralf Reinhardt vom Polizeipräsidium Eberswalde abstreitet.

Ursel Ziems, stellvertretende Direktorin der Gesamtschule Bernau, auf der Pedro einer von zehn ausländischen unter rund 1.000 Schülern ist, meint dazu, dass es an der Schule zwar rechtsgerichtete Jugendliche gebe. „Gewalt hat es in der Schulzeit und auf dem Schulgelände aber in diesem Zusammenhang noch nicht gegeben.“

Ursel Ziems will heute gemeinsam mit der betroffenen Familie, Vertretern der Stadt, der Ausländerbeauftragten und der Polizei darüber beraten, wie der Familie geholfen werden kann.

Anke Müller von der Kontakt- und Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Bernau sieht in den Erfahrungen der kolumbianischen Familie den alltäglichen Rassismus, mit dem Flüchtlinge in Bernau und überall in Brandenburg rechnen müssten.

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