Keine Angst vor Ständern

„Für Frauen ist Salsa das Ziel, für Männer der Weg“: Wer einmal einen Kurs gemacht hat und weiß, was Spaß- und Lustschritte sind, kann in Berlin jeden Abend Salsa tanzen. Ein Erfahrungsbericht

aufgezeichnet von KIRSTEN KÜPPERS

„Ich war letztes Jahr in Kuba. Dort gibt es Kulturzentren, wo die jungen Leute hingehen und Salsa tanzen. Da habe ich mitgetanzt. In Berlin wollte ich die Schritte dann richtig lernen. Seitdem gehe ich zweimal die Woche in die Tanzschule. Den Tanzpartner, den ich dort gefunden habe, habe ich mir ausgesucht, weil er schnell die Schritte kapiert. Um etwas anderes geht es nicht. Erotische Stimmung kommt in der Tanzstunde nicht auf. Meine Tanzlehrerin sieht das anders.

In der Tanzstunde lernen wir Merengue und Salsa. Die Tanzlehrerin steht auf Merengue. Sie sagt, es sei ein sehr erotischer Tanz. Es geht immer rechts, links, rechts, links. Um mehr Gefühl reinzubringen, hat sie einmal gesagt, links ist Spaß, rechts Lust.

Wir mussten dann immer Spaß-, Lust-, Spaß-, Lust-Schritte machen. Den Männern hat sie erklärt, dass es normal sei, dass man beim Tanzen einen Ständer bekommt. Das sei eine natürliche Reaktion des männlichen Körpers. Man müsse sich nicht schämen. Auch die Frauen sollten keine Angst haben, sagte sie.

Die Leute im Kurs haben zuerst gelächelt. Das schwenkte um in ein Betretenheitsgefühl. Danach hat die Lehrerin das Licht ausgedimmt und gesagt, wir sollten jetzt Merengue tanzen. Mein Tanzpartner hat gesagt, er müsse sich viel zu sehr auf die Schritte konzentrieren, als dass er einen Ständer bekommen könnte. Die Leute im Tanzkurs sind zwischen 25 und 35. Das ist wohl die Phase, wo man sich schon zu alt vorkommt in den Clubs, in die man sonst immer gegangen ist. Tanzkurse sind dann eben eine neue Möglichkeit zum Ausgehen.

Meine Freundin und ich versuchen immer, Leute zu aktivieren, auch einen Salsa-Tanzkurs zu machen. Da kommen immer komische Reaktionen. Viele deutsche Männer denken, es sieht total peinlich aus, wenn man beim Salsa mit dem Hintern wackelt, wenn man das nicht im Blut hat. Manchmal hat man das Gefühl, man sollte seine Salsa-Begeisterung in gewissen Kreisen nicht zeigen, weil man sonst nicht mehr ernst genommen wird.

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Ich gehe zwei- bis dreimal die Woche Salsa tanzen: in den Soda Club in der Kulturbrauerei, in den Grünen Salon oder den Roten Salon der Volksbühne. Nach Westberlin fahre ich nicht, weil es mir zu weit ist.

Kubanerinnen, die zu den Tanzveranstaltungen gehen, und auch andere Frauen, die oft Salsa tanzen gehen, ziehen sich sexy an. Vielleicht ein enges Oberteil und ein bisschen Haut zeigen. Ich gehe da aber auch in Jeans und T-Shirt hin. Es gibt einen Kubaner, der kommt mal mit Anzug und Krawatte, das nächste Mal abgefetzt mit Basecap. Hauptsache, sich zur Schau stellen.

Für die Männer ist wichtig, eine gut aussehende Partnerin in den Armen zu halten, mit der sie ihr Können vorführen können. Das ist ein ständiges Gucken. Männercliquen unterhalten sich immer darüber, welche Frau da ist und mit welcher man tanzen muss. Die besonders guten Tänzer tanzen auch gerne mit zwei Frauen gleichzeitig. Das bringt immer viele Zuschauer.

Viele Leute auf den Salsa-Veranstaltungen kommen aus Übersee: Lateinamerikaner, Schwarzafrikaner, Araber, Inder oder Pakistanis. Aber auch Franzosen, Italiener und Rumänen sind da. Wenn man in einem anderen Land lebt, sucht man sich etwas, wo man Leute kennen lernen kann. Es ist ja langweilig, allein in eine Technodisko zu gehen, in der man niemanden kennt. Wenn du einen Salsa-Kurs machst, kannst du jeden Tag tanzen gehen und kennst sowiso bald jeden. Egal wo man in Berlin zum Salsatanzen hingeht, man trifft immer dieselben Leute.

Es ist sicherlich so, dass unter den Männern beim Salsa weniger Deutsche sind als unter den Frauen. Das liegt daran, dass es nicht so viele deutsche Männer gibt, die gerne tanzen. Außerdem sind allgemein weniger Frauen als Männer aus dem Ausland in Deutschland.

Die besseren Tänzer trudeln sehr spät ein. Meistens beginnen diese Veranstaltungen um acht oder neun. Aber die richtigen Tänzer tauchen auf keinen Fall vor zehn auf.

Die Männer fordern mehr auf als die Frauen. Es kommt aber eher darauf an, wie gut die Leute tanzen. Es herrscht ein permanentes Gucken: Wie tanzt wer? Hört das Lied auf, und du willst gerade von der Tanzfläche gehen, kommt schon wieder der Nächste.

Es sind immer viele Kubaner auf den Tanzveranstaltungen. Die Kubaner in Deutschland sind systembedingt meistens Musiker oder Sportler und verheiratet. Salsa kommt aus Kuba und ist ein erotischer Tanz. In Europa hat man immer so ein Bild vor Augen von Pärchen, die, ineinander verknotet, erotische Hüftbewegungen machen. Wenn man sich mit Kubanern unterhält, kriegt man raus, dass es nicht so ist, dass jeder mit jedem sexy tanzt. Das macht man nur als festes Paar. Oder in Kuba mit Touristinnen, weil es Spaß macht und die Touristen denken, das sei normal. Wenn Kubaner eine Partnerin haben, darf sie nicht mit anderen Männern tanzen. Das geht nur mit Männern, die der Mann kennt und am besten selbst aussucht.

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Es gibt viele Frauen wie ich, die den erotischen Aspekt im Tanz ganz schön finden. Angenehm ist, dass man zusammen tanzen kann, ohne dass man sich überlegen muss, wann man sich wiedersieht. Aber ich denke: Für die Frauen ist Salsa das Ziel, für Männer der Weg. Wenn eine neue Frau in der Szene auftaucht, versuchen alle auf unterschiedliche Art, sie kennen zu lernen und rauszukriegen, ob sie einen Freund hat. Als ich mit einem kubanischen Tänzer liiert war, war er sehr eifersüchtig. Die Kubaner in Deutschland haben ein Trauma: Sie befürchten, wenn deutsche Frauen erst mal auf den Geschmack kommen, wollen sie alle Kubaner hier kennen lernen.

Aber auch die anderen Kubaner haben mich während meiner Liaison nicht mehr gegrüßt. Weil es beleidigend ist, mit jemand anderem zu tanzen, wenn man schon vergeben ist. Typisch ist, nicht nur für Kubaner, dass man nicht um einen Tanz fragt, wenn jemand mit dem Partner da ist. Das wäre ein absoluter Affront.

Für mich ist das Tanzengehen jedes Mal wie ein kleiner Urlaub. Als regelmäßiger Gast kenne ich inzwischen auch den Klomann in der Kulturbrauerei. Er arbeitet als Freelancer an verschiedenen Orten und verkauft auch Süßigkeiten. Er sagt, auf Techno-Raves werden Schokoriegel am meisten nachgefragt. Beim Salsa verkaufte sich letzten Sommer am besten Kaugummi. Gerade die sehr guten Tänzer machen die kompliziertesten Drehungen und Verrenkungen und kauen dabei Kaugummi. Das sieht besonders cool aus.“