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Süchtig werden nach PS2

Zum Verkaufsstart der neuen Playstation gab’s bei Sony am Potsdamer Platz einige hundert gestresste Spiele-Junkies, die mit dem neuen Modell Probleme beim Raubkopieren bekommen

von DETLEF KUHLBRODT

Donnerstag um Mitternacht war es so weit. Die ersten Geräte der neuen Playstation schwenkten über die Ladentische bei Sony am Potsdamer Platz. Die Markteinführung war Harry-Potter-mäßig inszeniert worden. Es gab Absperrungen, Ordner mit PS2-Anoraks, Technomusik, Cheerleader, viele Fotografen und albern gekleidete Menschen; einen blaunebligen Zelttunnel, der in den Verkaufsbereich führte, und eine große Leinwand in der Mitte des Sonyplatzes, auf der man wechselweise Playstationspiele in verbesserter Grafik und gestresst wirkende Käufer dabei beobachten konnte, wie sie erleichtert ihre 865 Mark auf den Tisch blätterten.

So viele Playstation-Junkies wie erwartet waren allerdings nicht gekommen. Grad mal 500, wobei der Anteil von Männern meist um die 20 bei etwa 85 Prozent lag. An den zehn Testkonsolen vergnügten sich sogar ausschließlich Männer. Am liebsten spielten sie „Tekken“, ein Kampfspiel, oder auch Autorennen. Männer in schwarzen Anzügen begrüßten einander wichtigtuerisch am Rande und telefonierten danach mit ihren Handys.

Als die PS2 im eiskalten März in Tokio Weltpremiere feierte, waren 5.000 Menschen gekommen. Einige hätten sogar vor den Kaufhäusern campiert, sagt man. In Japan hatte Sony nach zwei Tagen eine Million PS2s verkauft. Im Oktober war US-Start in Los Angeles, nun eben Berlin. Zur gleichen Zeit gab's das Gleiche auch in 17 anderen Ländern.

Die 120.000 für den deutschen Markt reservierten Teile kamen in russischen Antonow-Maschinen aus Japan. Jede Maschine hatte 28.000 PS2s geladen. Für den gesamten europäischen Markt sind zunächst 500.000 vorgesehen. Bis Ende Dezember will man dann eine Million Spielkonsolen nach Deutschland gebracht haben; bis März sollen es drei Millionen sein. Sony kommt mit dem Produzieren der Chips nicht hinterher. Der spielentscheidende Chip ist unter dem Namen „Emotion Engine“ bekannt geworden und wird gemeinsam mit Toshiba in einem Werk in Oita im Süden Japans produziert.

Zur japanischen Markteinführung war der Elektronikkonzern wohl etwas voreilig gewesen: Im März hatten Probleme mit der DVD-Einheit des Geräts dazu geführt, dass 1,25 Millionen Pakete der PS2-Start-up-Software zurückgerufen werden mussten. Die Verknappung der Ware führt vermutlich zur Steigerung des Begehrens. Dass die Nachfrage bei weitem das Angebot übersteigt, bewirke, dass man hemmungsloser das überteuerte Gerät kauft und dass die Konsole zum Teil nur im Pack mit Zubehör in Medienmarktketten verkauft werden wird, empörte sich ein smarter Spieleexperte. Auch wird es dem Geldbeutel weh tun, dass sich die Spiele nun schwerer raubkopieren lassen, was dazu führen könnte, dass sich die PS2 nach der ersten Euphorie möglicherweise doch schlechter verkaufen wird als geplant.

Während das KaDeWe grad mal 120 Teile gekriegt hat, haben die elf Läden der Promarkt-Kette exklusiv für Berlin einen Vorverkauf mit Sony vereinbart. Insgesamt haben die Filialen des Elektromarktes 2.000 Spielkonsolen abbekommen.

Der Markt der Spielkonsolen ist groß. Weltweit werden 20 Milliarden Dollar für Spielkonsolen ausgegeben. Mit 67,5 Prozent Marktanteil hat Sony in Deutschland die Nase weit vorn und erwirtschaftet mit der Playstation mittlerweile 40 Prozent seines Gewinns. Trotz großer Werbeanstrengungen kriegt Sega mit seiner billigeren Dreamcast-Spielekonsole nur 2,5 Prozent vom Kuchen. Die Firma Nintendo, die demnächst einen neuen internetfähigen Gameboy auf den Markt bringen wird, liegt mit 30 Prozent auch noch ganz gut im Rennen. Auf Microsofts „X-Box“, die im nächsten Jahr rauskommt, warten die Menschen auch ganz gespannt.

Der Boom der teuren Spielmaschinen ist schon seltsam. Inwieweit die Nachfrage nach einem Sich-aus-der-Welt-Wegbeamen das Angebot an den dazu geeigneten, Zeit fressenden Maschinen bestimmt oder umgekehrt, ist ungeklärt. Die PS2 verhält sich zu den ersten Computerspielen wie Heroin zu Haschisch, würde ich mal sagen. Wer dafür nicht empfänglich ist, versteht das nicht. Den Laien sei gesagt, dass das alles sehr komplizierte Kulturtechniken sind, die einen – wie alle Kultur – vor der lebensimmanenten Existenzangst schützen wollen. Es dauert zum Beispiel Tage und Wochen konzentriertesten Lernens an der Playstation, bis man auch nur halbwegs vernünftig Autorennen fahren kann.

Auf dem Rückweg sah ich einen Mann, der aus einem Taxi stieg und so lange auf den Gehweg kotzte, dass einem beim Zusehen ganz übel wurde.

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