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Ich im Urlaub auf Hawaii

Wie langweilig war das Jahr 2000? Die erste umfassende Werkschau von Martin Parr, dem englischen Starfotografen der Agentur Magnum, sorgt im ehemaligen Postfuhramt für besonnene Vorweihnachtsstimmung und liefert sogar Geschenkideen

von YVES ROSSET

In nicht weniger als vierzig Galerien weltweit hat Martin Parr seine zwischen 1995 und 1997 enstandene Fotografieserie „Common Sense“ gezeigt. Nicht schlecht und auch fast banal: Ist doch der gesunde Menschenverstand die am meisten verbreitete Sache der Welt. Jedenfalls beweist ein solcher Erfolg, dass der 1952 geborene Parr kein Narr in Sachen Marketing ist. Parr wird als Vetreter der „neuen europäischen Farbfotografie“ gehandelt, sein fotografisches Talent wird in Frankreich von Sammlern honoriert. In Deutschland ist er vor allem bei Zeitschriftenmachern gefragt.

Nachdem die Hamburger Presse- und Foto-Agentur „Focus“ im ehemaligen Berliner Postfuhramt bereits mit der „Magnum“-Retrospektive eine erfolgreiche Sommerausstellung schaffte, präsentiert sie jetzt unter dem Titel „Kulturbeutel“ einen Überblick über die Arbeit ihres „umstrittensten“ Mitglieds. Marketingmäßig betrachtet passt eine solche Schau aber perfekt in die Vorweihnachtszeit. Während der Hauptflur des Erstgeschosses, der zu den verschiedenen Zimmern führt, als kleine Buchhandlung dient, werden farbige Laserkopien aus „Common Sense“ für 100 Mark als Multiple angeboten, wobei das ganze Buch billiger ist und als poppige Geschenkidee wiederum zum Renner werden könnte.

Auch inhaltlich passt die Arbeit von Parr gut zur Adventszeit. Nicht nur, weil Serien wie „Small World“, „Global Photographic Project“ oder „Benidorm“ Ansichten über die massentouristische Eroberung der wärmeren Länder dokumentieren und hauptsächlich mit tropischer Ästhetik, Sonne und rot gebratener Haut nach Urlaub rufen; sondern weil Parrs Interesse sich letztlich auf die pathologische Mischung von Kitschorgie und Konsumwohlstand richtet. Eine Mischung, die in der westlichen Tradition an Weihnachten wohl ihre ekelhaftesten Züge zeigt.

Das schlimmste an der globalen Geschmackskatastrophe, wie sie Parr unheimlich distanziert und zugleich detailbesessen festhält, ist aber ihre Monotonie. Eine Monotonie, die bei ihm extrem bunt erscheint, überall zu spüren ist, und die sich exemplarisch – wenn auch ironisch – in seiner „Autoportrait“-Serie zuspitzt. In drei Räumen hängen die Ergebnisse einer jahrelangen Forschung, die anscheinend darauf zielt, alle Formen der Porträtfotografie, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat, zu dokumentieren – abartige und groteske Formen der Souvenir-fotografie inklusive.

Tatsächlich ist Parrs stoisches Gesicht überall zu finden: Auf einem Bild, das im „Studio de la Tour Eiffel“ aufgenommen wurde, oder mitten in einem Lebkuchenherzen als „Gruß vom Oktoberfest“; im Maul eines gezeichneten Haifischs aus Benidorm oder mit einer Blumenkette geschmückt auf Hawai. Dann wieder taucht Parr vor dem Porträt von Mao auf einem Platz in Peking auf, mit einem römischen Soldaten aus Cinecittà vor dem Kolosseum usw. Das Sammelsurium entbößt die tragische Lage eines fotografischen Subjekts: Es ist nichts als das leere, entmenschlichte Zentrum einer von Dingen eingerahmten Welt.

Auch die anderen Storys, die Parrs Bilder erzählen, sind längst zum resignierten „Common Sense“ geworden. Eine große, bunte Aufnahme aus der Serie „Small World“ zeigt etwa eine weiße Touristin, die irgendwo in Indien von Schmuckverkäufern regelrecht – und legitimerweise – belagert wird. Während die Gesichter der Eingeborenen fratzenhaft verzerrt erscheinen, bewahrt das Gesicht des postkolonialen, hingejetteten, weiblichen Menschen auch da einen gewissen Stoizismus. Und in die Anonymität, die aus der perfekt gestalteten Oberfläche des Aufgezeichneten sprüht, kann sich jeder hineinprojizieren und sagen: „Ja, so isses eben.“

Wie ein Sonntagsnachmittagsbesucher es zusammenfasste, sind die Bilder von Parr „fies, krass und brutal“. Dass sie dabei absolute Normalität – fritiertes Schweinefleisch, Spiegeleier auf Toastbrot oder Minigolfspieler – zeigen und dafür vom Markt hoch geschätzt werden, spricht für die Moral der Geschichte überhaupt.

Wie es danach aussehen könnte, zeigt allerdings „Boring, Oregon, 2000“. Diese neue Arbeit von Parr ist im letzten Raum der Austellung zu sehen und zeigt postkartenformatige Aufnahme einer kleinen US-Stadt. Alles ist da: Die Straßenschilder, die entlang der Road 212 dem Reisenden die Richtung angeben, der Empfangsspruch am Eingang der Stadt, die Schule, das „Boring Square Garden Center“ und die „Clackamas County Bank“, die Trucks auf den Parkplätzen und die Regale mit Western-Videos, Süßigkeiten und Motorölverpackungen.

Alles ist da, außer Menschen. Und die letzte Postkarte, die der dort mit seinem Kulturbeutel angekommene Parr dem Zuschauer schickt, zeigt ein rautenförmiges gelbes Schild auf dem „Dead End“ steht.

Bis 6. 1. 2001. So., Di., Mi., Do. 12 – 21 Uhr; F.r/Sa.12 – 22 Uhr, ehemaliges Postfuhramt, Tucholskystraße 19/21.

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