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Der blonde General befiehlt

Bayern München leistet sich mit Spielmacher Stefan Effenberg einen Anachronismus in der Champions League. Der FC Arsenal demonstriert beim 2:2 dagegen taufrischen Kombinationsfußball

aus London RONALD RENG

Auf dem Weg von der Umkleidekabine zum Mannschaftsbus fiel Stefan Effenberg ein, welch gute Zähne er und seine Mitspieler doch hätten. „Wir haben“, sagte der Mannschaftskapitän des FC Bayern, „uns heute ins Spiel zurückgebissen.“ Hinter Effenberg lag der nun verlassene Fußballplatz, die Tribünen von Highbury waren wieder leer, eine erhabene Stille hatte das Stadion von Arsenal London ergriffen, aber Effenbergs anschauliches Bild brachte die Erinnerung zurück an einen beißend intensiven Abend, an dem Bayern München mehr durch Widerspenstigkeit als durch Stil überzeugte.

Das 2:2 nach 0:2-Rückstand im Zwischenrunden-Match der Champions League gegen Arsenal bewies, wie schwierig der deutsche Meister zu besiegen ist – aber es ließ auch die Frage zurück, ob Bayern den Europapokal dieses Jahr tatsächlich gewinnen kann. In den ersten 30 Spielminuten standen sie mehr als einmal am Rande der Lächerlichkeit, als Arsenal mit Weltklasse-Kombinationsfußball die Münchener Elf in ihre Einzelteile zerlegte. Die Innenverteidiger Thomas Linke und Samuel Kuffour litten besonders. Hier wurde deutlich, dass Bayern als einziger der Champions-League-Favoriten noch mit einem offenbar aussterbenden Konzept agiert: Ihr Offensivspiel ist auf einen Mann angelegt; Stefan Effenberg spielt die Rolle des klassischen Spielmachers, der alle Wege zu organisieren versucht. Die anderen Qualitätsteams wie Arsenal, Real Madrid oder Manchester United dagegen haben den General im System abgeschafft, stattdessen spielen sich vier gleichberechtigte, kreative Mittelfeldpartner die Pässe zu.

Von ihnen mag keiner die Fähigkeit eines Effenberg haben, das Spiel zu entscheiden. Dafür ist es aber für Arsenals Trainer Arsène Wenger kaum ein Problem, wenn etwa der Schwede Freddy Ljungberg ausfallen würde, am Dienstag der beste Spieler. Doch was macht der FC Bayern, wenn Effenberg nicht zurechtkommt oder gar verletzt fehlt? Dann gewinnen sie den Europacup nicht, erkannte Manager Uli Hoeneß: „Wir können die Champions League nur mit einem Effenberg in Bestform gewinnen.“ Sich derart von einem 32-jährigen, verletzungsanfälligen Spieler abhängig zu machen, ist ein Risiko, zumal ein Klassefußballer wie Mehmet Scholl durch dieses General-System an den Rand gedrängt wird.

Aber diesmal kam Effenberg ja zu ihrer Rettung. „Das ging uns dann doch ein bisschen auf den Keks“, sagte er, wie Arsenal sie anfänglich vorführte. Schon in der 4. Minute hatte Thierry Henry eine grandiose Stafette zum 1:0 abgeschlossen, das 2:0 in der 55. Minute durch Nwankwo Kanu war nicht weniger schön. Doch Arsenal half den Münchnern auf die Beine. Ihr Stellungsspiel war schlampig, als sie einen Freistoß von Effenberg in den Strafraum ließen, Michael Tarnat nutzte die Gelegenheit zum 2:1. Plötzlich gewannen sie die Zweikämpfe, Libero Ciraco Sforza rückte vor die Abwehr, Effenbergs Pässe in den freien Raum öffneten das Spiel. Mehmet Scholl versenkte in der 66. Minute einen Freistoß. Dann zogen sie sich wieder zurück, sichtlich zufrieden mit dem Unentschieden. Das Gefühl blieb zurück, dass sie das schockierte Arsenal nun hätten besiegen können, hätten sie weitergespielt. Aber man nennt das wohl professionell, so einen Rückzug, und Trainer Ottmar Hitzfeld verkündete denn auch, mit dem Unentschieden und somit vier Punkten aus zwei Spielen seien sie „im Soll“, als Erster der Zwischenrunden-Gruppe C. „Und Arsenal, eine Weltklasseelf, Letzter – verrückt“, fand Hoeneß.

Ihre Frustration konnten nicht alle Arsenal-Spieler für sich behalten. Giovane Elber beschwerte sich: „So viel habe ich noch nie abgekriegt“ wie von Arsenals harten Verteidigern Martin Keown und Tony Adams. „Im Rückspiel kriegt der Adams auf die Fresse“, kündigte er an und grinste. Aber bis es am 14. März so weit ist, hat er sich vermutlich beruhigt. Präsident Franz Beckenbauer versprach dem FC Bayern jedenfalls ruhige Tage: „Jetzt noch auf Platz eins in der Bundesliga vorarbeiten, und dann gehen wir in den Winterschlaf, äh, in die Winterpause.“

Arsenal London: Manninger - Luschny (82. Lauren), Adams, Keown, Cole - Ljungberg, Vieira, Grimandi, Pires (77. Wiltord) - Kanu, HenryBayern München: Kahn - Linke, Sforza, Kuffour - Sagnol (46. Sergio), Jeremies, Effenberg, Tarnat - Salihamidzic, Elber, Scholl (82. Zickler)Tore: 1:0 Henry (4.), 2:0 Kanu (55.), 2:1 Tarnat (56.), 2:2 Scholl (66.)

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