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Planetenträumer

Freeman J. Dyson: „Die Sonne, das Genom und das Internet. Wissenschaftliche Innovation und die Technologien der Zukunft“. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2000. 221 Seiten. 32 DM

Auch im neuesten Buch des emeritierten Physikprofessors Freeman J. Dyson (Princeton) spielt Michael Ondaatjes „Der Englische Patient“ eine Rolle. Er teilt uns mit, dass seine Tante Dulcibella, wäre sie nur achtzig Jahre jünger gewesen, eine sehr gute Hauptdarstellerin abgegeben hätte. Das ist zwar nicht so interessant, aber es ist immerhin bemerkenswert, dass Dyson Buch und Film gleich zweimal in Folge versehentlich „Der amerikanische Patient“ nennt. Das kann einem nahezu 80-jährigen Physikprofessor zwar mal passieren. Einem Lektorat sollte das aber eher nicht entgehen. Das Buch ist allerdings so fehlerhaft, dass es vermuten lässt, der S. Fischer Verlag habe diesem Werk, das die Zukunft des Menschen und die Zukunft technischer Innovationen zum Gegenstand hat, nicht nur ein Lektorat, sondern auch eine einfache Korrektur erspart. Hoffentlich spielt der S. Fischer Verlag hier nicht ganz nebenbei die Zukunft des deutschen Verlagswesens durch.

Freeman J. Dyson ist ein Zukunftsabenteurer, einer der vielen, die sich in den Zeiten der Cybermanie ihr Geld mit bunten Zukunftsvisionen verdienen. Vor fünfzehn Jahren noch waren die drei zentralen Zukunftstechnologien für Dyson „Gentechnik, künstliche Intelligenz und Raumfahrt“. Zwei dieser drei Grundannahmen hat er jetzt gestrichen und durch das Internet und die Sonne ersetzt. Sein Motto: „Es ist besser zu irren, als vage zu bleiben.“ Und so fabuliert er sich also derart präzise und munter in die Zukunft hinein, dass man zu träumen glaubt. Er kann sie schon förmlich hören, seine Laserstartrampe für Raumfahrzeuge zum Beispiel, die bald, sehr bald schon Wirklichkeit sein wird: „Im gleißenden Licht des vom Laser erhitzten Wasserplasmas und mit ohrenbetäubendem Lärm in der Tonlage des hohen C, den die mit Abstand von tausendstel Sekunden aufeinander folgenden Dampfexplosionen hervorrufen, beginnt der Laserantrieb des Raumschiffs in die Höhe zu heben.“ Ah, das hohe C.

Dyson hat den Draht, den direkten Draht in die Zukunft, den nur so wenige haben. Er sieht gefriergetrocknete Fische auf einer ewigen Reise um den Jupiter kreisen, er „schätzt mal“, dass 2085 die Emigration der ersten Pilger von der Erde beginnen könnte, und dann, später, nach dem Jahr 2085 können Sie, Leser, LeserIn, „wenn Sie Krach mit der Familie haben, immer weggehen und ihr Glück auf einem anderen Planeten suchen“.

Aber Krach mit der Familie wird unwahrscheinlich werden, denn man stellt sich seine Familie in der Zukunft natürlich nach den ganz privaten Wünschen selbst zusammen: „Zu Hause nach eigenen Vorstellungen reprogenetisch behandelte Kinder zu bekommen wird vielleicht eines Tages ein ebenso beliebtes Hobby sein wie heute das Desktop-Publishing“, sprach der Professor und verschwand mit einem ohrenbetäubenden hohen C in den Unsinnshimmel.

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