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Anregung zum gemeinsamen Arbeiten

■ Schienen legen, bloß keine Inhalte vorgeben: Das in Hamburg ins Leben gerufene Internetprojekt „Baltic Interface Net“ soll ein Kommunikationsnetz für KünstlerInnen rund um die Ostsee bieten Von Petra Schellen

Eine Zeit lang waren sie mal kurz im Blick: Zu der der Wende, als der Kommunismus gewaltig zusammen- und in Estland die „Singende Revolution“ losbrach und Westeuropa gebannt aufs Baltikum schaute. Ansätze von Interesse keimten, keimen auch jetzt noch, aber eher in der Tourismusindustrie, oft suspekt gewürzt mit Ewiggestrigen-Nostalgie, wenn Fahrten zur Kurischen Nehrung, zum Thomas-Mann-Haus nach Nidden oder nach „Memel“ (heißt jetzt litauisch Klaipeda) angeboten werden. Und so richtig etwas damit anfangen können wir Westeuropäer eigentlich immer noch nicht, mit den baltischen Staaten, deren Bauten – etwa in Riga oder Vilnius – in Backsteingotik gehalten sind, wie wir glauben möchten, „typisch hanseatisch“. Und schon wieder ist ein Begriff in die Gegend geworfen, den man unhinterfragt nicht benutzen darf, weil die Hanse so schrecklich friedlich nun auch wieder nicht war, sondern eine Handelsbarriere des Mittelalters, das sich heftig etwa gegen die Dänen richtete.

Aber vielleicht liegt hier ein Ansatzpunkt für Projekte wie das „Baltic Interface Net“ von Klaus Peter Dencker, für Kunst und Medien zuständiger Regierungsdirektor bei der Hamburger Kulturbehörde, der sich aufgemacht hat, ein Inter-Netzwerk zu erschaffen, das die Kontakte zwischen allen Ostsee-Anrainern zuzüglich Islands verbessern soll.

„Baltic Interface Net“ hat Den-cker sein Projekt genannt, zu dem die Idee Anfang der 80er Jahre keimte und das er 1996 im Ostseerat unter die Mitglieder zu bringen versuchte, zunächt als Vertreter Hamburgs, als Nicht-Ostsee-Anrainer misstrauisch beäugt. Aber die Idee gefiel, und an den Start ging das Projekt, für das an der hiesigen Hochschule für bildende Künste eine Projektgruppe ins Leben gerufen wurde, die Professor Matthias Lehnhardt betreut.

Einen Kreis aus elf „Entry Points“ findet also inzwischen vor, wer die Adresse www.baltic-interface.net anwählt, und der Kreis deutet jene hierarchiefreie Organisationsform an, die im „Baltic Interface Net“ beabsichtigt ist, von Dencker auch „Decentralized Circles“ genannt. Eine zentrale Gruppe pro Land ist für die Gestaltung der Entry Points zuständig.

Wozu das Netzwerk dienen soll? Es soll eben jene Kooperation zwischen den Ostseeanrainern fördern, die bislang allenfalls bilateral funktioniert; die drei Ebenen, auf denen operiert wird, nennt Dencker „Information, Kommunikation, Produktion. Ziel ist, gemeinsame künstlerische Aktivitäten anzuregen und technisch möglich zu machen: Zwischen einzelnen Ländern funktioniert das oft, aber es gibt kein ostseeweites Netzwerk. Wenn man zum Beispiel Kooperationspartner zu einem Thema sucht, muss man alle Ostsee-Institutionen einzeln anwählen“. Das habe ihm und seinen Mitarbeitern zu denken gegeben.

Lehnhardt – beauftragt mit der technischen Umsetzung der Kontakte – formuliert es direkter: „Unsere Ausgangsfrage ist: Was interessiert uns aneinander? Künstler sollen ausprobieren, wie weit das Internet zur gemeinsamen Kunstproduktion taugt“. Eine erste CD – eine Art Demo-CD zum Projekt – soll im Juni 2001 auf der Außenministerkonferenz des Ostseerates vorgestellt werden.

An erster Stelle stehe bei dem Projekt natürlich die Frage, wie sich Information am problemlosesten austauschen lasse. Ein gemeinsames „Gemälde“ zum Beispiel haben Künstler geschaffen; teilnehmen können hieran jeweils maximal drei Länder, die auf den Farbkanälen Blau, Rot und Gelb senden. Durch Übereinandermischung oder -speicherung ist so ein gemeinsames „Strandbild“ entstanden.

Ein anderes Tool widmet sich der Umsetzung von Farbwerten in Töne: Jeder Farbnuance eines fotografierten und eingescannten Hochhauses ist eine akustische Frequenz zugeordnet, und so kann man das Haus sowohl mit den Augen als auch – mit Hilfe der Maus – akustisch abtasten. „Irgendwann soll der Betrachter das Bild und seinen Klang verändern können, indem er andere Farben einsetzt, die dann andere Töne erzeugen“, erklärt Lehnhardt. „Geplant ist auch ein Tool, mit dessen Hilfe ein Konzert verfolgt werden kann, bei dem an jedem Entry Point ein Musiker des betreffenden Landes seine Stimme spielt. Gemeinsam gehört werden kann das dann nur deshalb, weil alle Server zusammenwirken; einer allein könnte solche Datenmengen nicht verkraften. Zeitgleich soll das passieren – und hier liegt eine weitere, internetbedingte Crux der Konstruktion: „Die Daten brauchen unterschiedlich lange. Von Hamburg-Zentrum bis nach Barmbek dauert es manchmal länger als bis nach Helsinki. Und hier liegt eine wichtige Aufgabe für die Techniker, diese Entfernungen und Zeiten kompatibel zu machen.“

Ausgereift sind all diese Tools noch nicht, aber wichtig sei ja auch, wie Dencker betont, der Prozess, nicht das Ziel: Wir wollen Kommunikationswege schaffen, Schienen legen und nicht Inhalte vorgeben.

Hindernisfrei ist der Prozess nicht, das gibt er zu. Denn die Zusammenarbeit etwa zwischen Polen oder den baltischen Staaten und Russland wird sich noch auf absehbare Zeit schwierig gestalten, weil sich die Bürden der Vergangenheit nicht so schnell abwerfen lassen – ein Phänomen, das sich auch darin äußert, dass etwa Lettland die Einbürgerung des russischen Bevölkerungsdrittels an strenge Sprachprüfungen knüpft und damit genau das wiederholt, was die Russen den Letten einst zumuteten. Aber vielleicht, so hofft Dencker, sind es gerade die Künstler, die solche Ressentiments und Hindernisse am ehesten überwinden können.

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