: Etwas Disco, ein Schuss Streetlife
■ Eine Choreografie der Südafrikanerin Robyn Orlin eröffnete die IndepenDance Days
Daddy steht für den Raum dazwischen, für die Leerstellen in einem einst zwangsweise geordneten Gefüge. Daddy, I've seen this piece six times before and I still don't know why they're hurting each other von der südafrikanischen Choreografin Robyn Orlin schlägt scharfe Kerben in die Illusion einer sich rhythmisch wiegenden Mama Afrika und teilt empfindliche Hiebe gegen die Fantasien weißer Allmacht aus. Frech, chaotisch, amüsant und ziemlich trashig zeichnet ihre schwarz/weiße Tänzer- und Schauspielertruppe zum Auftakt der IndepenDance Days auf Kampnagel das Portait einer Gesellschaft nach, in der nichts mehr im Lot ist.
Die Bühne ist ein großer Tisch, um den herum sich das Publikum in der Vorhalle 6 auf Kampnagel aufgestellt hat. Da oben dreht und wendet sich eine riesenhafte dunkle Schönheit. Den tönernen Schwan auf ihrem stolzen Haupt wirft sie einfach ab, und er zerschellt. Wasser soll ihr der Typ nun bringen, der sie die ganze Zeit schon, lässig mit einer Peitsche hantierend, wie ein Wachmann umkreist. Energie brauche sie, die Sonne soll er holen, während sie sich aus dem pinkfarbenen Kleid pellt, unter dem sie ein blaues und darunter noch ein gelbes trägt. Ist die Regenbogennation etwa zur eitlen Diva mutiert? – Er kommt mit Bananen. Doch die Josephine Baker-Rolle will ihr auch nicht so recht behagen. Eine Trillerpfeife gellt im Ohr.
Was wird hier eigentlich gespielt? Gar nichts. Es wird geprobt. Die Choreografin ist abwesend und ein unbeholfener Blondschopf versucht Ordnung in die Truppe zu bringen. Mitunter wird es gefährlich eng auf dem Plateau. Eigentlich sollte hier das Eröffnungsspektakel für die Fußballweltmeisterschaft einstudiert werden. Nun muss man sich was Neues überlegen und jeder zerrt erstmal aus dem Fundus, was er so kennt und meint, liebgewonnen zu haben: Aufziehbare Plastikenten, ein schwülstiges Solo. In das Tänzchen mit den roten Plastiktellern, ein bisschen Disco, ein Schuss Streetlife, können sich dann alle einreihen. Aus der Vogelperspektive auf den Monitorbildern kommt es besonders gut.
Hier kriegt jeder und alles sein Fett weg. Vor allem das Ballett als Inbegriff kolonialen Kulturguts. Eine schwarze Tänzerin im weißen Tutu pudert sich mit Mehl ein, auf dass es ordentlich staube. Robyn Orlin beschreibt den steinigen Weg der Suche vor allem im Miteinander, in der Begegnung. Und ihr gelingt es, die Textur, den Atem, den Rhythmus dieser Suche spürbar in eine Form zu bringen, verwirrend komisch und in erfrischender Weise politisch unkorrekt.
Irmela Kästner
noch heute und morgen, 20.30 Uhr, Kampnagel
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