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Verlorene Leser im Hauptstadtdunst

Der Kampf um den Berliner Zeitungsmarkt verliert an Schwung. Fast alle Titel haben im vergangenen Jahr an Auflage verloren und deshalb auf die überregionale Karte gesetzt. Und das Gratisblatt „15 Uhr aktuell“ ist schlicht Pleite gegangen

Welche nun die wahre Hauptstadtzeitung ist – das Interesse daran ist verflogen

von STEFFEN GRIMBERG

Berlin ist Zeitungsstadt. Und was für eine: „50.000 Leser einfach verdunstet“ – das ist keine BZ-Schlagzeile aus dem Fundus von Franz-Josef Wagner, das schrieb vielmehr das Branchenblatt Medienmagazin zur allgemeinen Auflagenentwicklung in der Hauptstadt. Womit Berlin voll im Trend liegt: Die Auflagen der Tageszeitungen bröckeln bundesweit. Bis auf den Tagesspiegel haben alle Berliner Titel im 4. Quartal 2000 im Vergleich zum Vorjahr leicht an Auflage verloren.

Doch nicht nur die Auflagen gingen zurück, auch der viel besungene „Berliner Zeitungskrieg“ hat seit dem Sommer an Schwung verloren. Ob nun der Tagesspiegel oder doch die Berliner Zeitung die wahre Hauptstadtzeitung ist – das ganz große Interesse an der Antwort scheint verflogen zu sein.

Stimmungsmäßig führt zum Jahresanfang das Blatt aus dem Hause Holtzbrinck: Neue Autoren, jede Menge neuer Kolumnen, eine Kinderseite – was hat Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo nicht alles dem traditionellen Westberliner Zentralorgan verordnet, um mehr zu bieten als die Konkurrenz! Die Süddeutsche, wo di Lorenzo einst die Seite Drei redigierte, bescheinigte seinem Blatt im August auch noch, Primus der „Parlamentsklasse“ zu sein und vom einfachen Abgeordnetenbüro bis zum Kanzleramt höhere Punktzahlen einzuheimsen als die Konkurrenz aus der Karl-Liebknecht-Straße.

Doch auf dem noch immer – mit Ausnahme der Neuberliner in der neuen Mitte – kategorisch in West und Ost geteilten Markt führt in den Westbezirken weiterhin Springers Berliner Morgenpost: Sie verkaufte sich im 4. Quartal 2000 durchschnittlich 173.969-mal am Tag, mittlerweile 138.178 Exemplare setzt der Tagesspiegel ab. Aber wir sind ja bei den „politischen Qualitätszeitungen“, und da darf die MoPo nicht mitkämpfen.

Die Berliner Zeitung rutscht derweil weiter von der falschen Seite auf die 200.000er-Schwelle zu – 204.576 Exemplare verkaufte sie am Jahresende. Zwar hat sich der Rückgang des vor allem in den Ostberliner Bezirken führenden Blatts damit verlangsamt, eine Trendwende ist aber nicht in Sicht. Auch inhaltlich wirkt die Berliner Zeitung etwas ratlos, genießt seit dem Herbst aber offenbar beim Mutterhaus Bertelsmann wieder etwas mehr Beachtung als zu Jahresanfang, als der „Neuzugang“ Financial Times Deutschland alle Aufmerksamkeit und Spendierhosen der Konzernmutter beanspruchte.

Weil der Markt in Berlin nun ein äußerst schwieriger ist und selbst bescheidene Zuwächse im Abonnementgeschäft nur durch immensen Aufwand ban Werbung und Marketing zu erzielen sind, setzten beide „Hauptstadtblätter“ im vergangenen Jahr auf die überregionale Karte. Während die Berliner Zeitung vor allem an den Hochschulen im alten Westen mit günstigen Angeboten um sich wirft– mit nach eigenen Angaben erfreulichem Ergebnis –, wagte sich der Tagesspiegel in den Norden und kooperierte mit der angeschlagenen Hamburger Rundschau. Die ehemals linke Wochenzeitung wurde Beilage im Tagesspiegel, der Vertrieb und Druckkosten übernahm. Für Personal und Schulden war weiter der HR-Verlag Himmelblau zuständig – und stellte die HR schon im Juli ganz ein. Begründung: Das Image des Tagesspiegels habe nicht zur neuen „Beilage“ gepasst. Von einem „unerfreulichen Zwischenfall“ war damals in der Berliner Verlagszentrale die Rede.

Einem ganz anderen für die etablierten Blätter unerfreulichen Zwischenfall ging schon Anfang 2000 schlicht die Luft aus: Nach knapp eineinhalb Jahren stellte die kostenlose 15 Uhr aktuell im Februar 2000 ihr Erscheinen ein. Das Gratisblatt war pleite. Anders als die internationalen Vorbilder in Schweden und Großbritannien hatte es 15 Uhr aktuell nicht geschafft, die Berliner Verkehrsbetriebe auf seine Seite und die nachmittäglich erscheinende Gazette via U- und S-Bahn an die Leser zu bringen.

Obwohl Berlin damit nach dem Rückzug des Kuriers am Abend formal endlich wieder ein Nachmittagsblatt hatte, war’s auch nicht wirklich schade drum: Im gut bestückten Berliner Zeitungsmarkt wirkte die schlecht gedruckte, fast vollständig aus Agenturschnipseln zusammengestellte 15 Uhr aktuell ziemlich überflüssig.

Der Krieg der Gratisblätter fand also weit enfernt in Köln statt, Berlin lieferte nur die juristische Begleitmusik: Weil der Axel Springer Verlag und der 20 Minuten Köln-Herausgeber Schibsted hier ihren Hauptsitz haben, wurde auch am Kammergericht prozessiert. Und bis auf weiteres zugunsten des norwegischen Konzerns entschieden. Auf 20 Minuten Berlin wird die Stadt aber noch lange warten können: Schibsted macht kein Hehl daraus, dass der Berliner Markt derzeit einfach zu unberechenbar – und zu teuer – ist. Die für den „Abwehrkampf“ längst gebastelten Gegen-Gratisblätter von Berliner Verlag und Axel Springer bleiben also in der Schublade.

Doch auch ohne Umsonst-Zeitung hat sich im Hause Springer einiges umgekrempelt: Nachdem Matthias Döpfner der Welt inhaltlich wie optisch eine Generalüberholung verordnete, ist das Blatt bei allen politischen Vorbehalten geradezu lesbar geworden. Vor allem mit einer kontroversen Meinungsseite brachte er die Welt wieder ins Gespräch; das Defizit des Blatts hat aber auch Döpfner nicht in den Griff bekommen. Dafür schlug er sich als treuer Anhänger Helmut Kohls und jeglicher New Economy. Und schaffte unerwartet den Sprung nach ganz oben: 2002 wird der dann 39-Jährige Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlags. Zum Jahresende verordnete der Verlag fast allen seinen Blättern zusätzlich neue Chefredakeure, und auch Franz-Josef Wagner fand sich auf dem Flur wieder: Er musste den BZ-Chefsessel abgeben und schreibt seit Jahresanfang herzzerreißende Briefe an die (Polit-) Prominenz unserer Tage – als Großkolumnist für Bild.

Wagners Nachfolger Georg Gafron (46) verspricht dafür eine der überarbeitetsten Medienfiguren des Jahrs 2001 zu werden: Immerhin leitet er nun die B.Z. inklusive B.Z. am Sonntag, will aber auch bei seinem Dudelfunk Hundert,6 und dem privaten Hauptstadtfernsehen tv.berlin weiterhin den Chef machen.

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