: Nationalitätenmix als Segen
betr.: „Nazis gegen Griechen“, taz vom 15. 1. 01
[. . .] Die rechte Gewalt hat ihre hässliche Fratze direkt vor unserer Haustüre gezeigt, die Illusion, dass Ausländerfeindlichkeit und Rassismus uns nur als abstrakte, irgendwo in Deutschland stattfindende Probleme betreffen, ist wie eine Seifenblase geplatzt. Auch wenn es sich nicht um einen geplanten Angriff auf den griechischen Mitbürger handelte, ist das Ausmaß der spontanen Brutalität ebenso erschütternd und beängstigend wie die Erkenntnis, dass es für rechte Gewalttäter keines besonderen Anlasses bedarf, um ein Menschenleben zu zerstören. Eine „einfache“ Geburtstagsfeier reicht anscheinend aus, um ausreichend Tötungspotenzial zu entwickeln. Eigentlich Grund genug, sich abends nicht mehr auf die Straße zu trauen. Wären da nicht die Anwohner, die nicht weggesehen und teilweise geistesgegenwärtig reagiert haben. Und die Polizei, die zügig vor Ort war, Schlimmeres verhinderte und einen großen Teil der Täter festnehmen konnte. Und vor allem unsere türkischen Nachbarn: Nicht zum ersten Male (auch in dieser Nacht) haben sie ihre spontane Hilfsbereitschaft bewiesen und ihre eigene Gesundheit für das Leben eines Mitbürgers riskiert. Dies ist, ebenso wie die überragende Gastfreundschaft, die sie uns immer wieder entgegenbringen, ein Stück „türkischer Leitkultur“, an dem wir uns ein Beispiel nehmen sollten. So erscheint am Ende ein einziger positiver Aspekt dieser schrecklichen Nacht: dass sich der bunte Nationalitätenmix unseres Viertels als Segen erwiesen hat, indem er einem Mitbürger vermutlich das Leben rettete und uns trotz allem, was passiert ist, ein wenig ruhiger schlafen lässt. Es bleibt zu hoffen, dass dies all jenen die Augen öffnet, die mit ihrer Verleugnung der multikulturellen Realität und dem ständigen Gerede von „deutscher Leitkultur“ ihren Teil zur Entstehung solcher Gewalt beitragen.
THOMAS WILKNISS, CHRISTINE BARTELS, München
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