Wien entschädigt Opfer der „Arisierung“

Abkommen über Zahlungen von einer Milliarde Mark in Washington nach langen Verhandlungen unterzeichnet

WIEN taz ■ Die Opfer der so genannten Arisierung in Österreich während der NS-Zeit werden mit umgerechnet rund einer Milliarde Mark entschädigt. Ein Abkommen dieses Inhalts wurde Mittwochabend nach monatelangen Verhandlungen von US-Vizefinanzminister Stuart Eizenstat und Österreichs Sonderbotschafter Ernst Sucharipa in Washington unterzeichnet. Ariel Muzicant, Präsident der Jüdischen Kultusgemeinde in Wien, setzte nur zögernd seine Unterschrift unter das Dokument.

Im Detail sieht das Abkommen eine Summe von 5,27 Milliarden Schilling (rund 750 Millionen Mark) für die Betroffenen vor. Es geht vor allem um enteignete Häuser und Wohnungen. Jedes Opfer soll aus einem General Settlement Fund 7.000 US-Dollar bekommen. Der Fonds wird mit 2,2 Milliarden Schilling von der Regierung dotiert, die restlichen 3 Milliarden sollen die Wirtschaft und andere Quellen aufbringen. Zusätzlich verpflichtet sich der Staat, jene Kunstwerke und Immobilien, die sich in Bundesbesitz befinden, den rechtmäßigen Eigentümern oder deren Erben zurückzugeben. Güter, die nach dem Krieg auf Länder und Gemeinden übergingen, sind nicht eingeschlossen.

Ergänzt werden diese Leistungen durch ein Sozialpaket von 1,6 Milliarden Schilling (228 Millionen Mark), das „Arisierungs“-Opfern der Jahrgänge 1933 bis 1938 erlaubt, sich zu einem günstigen Tarif Pensionsversicherungsjahre nachzukaufen. Bisher waren Personen, die damals nicht in Österreich lebten, von dieser Regelung ausgeschlossen. Opfer, die Pflegegeld beziehen, sollen in eine höhere Kategorie eingestuft werden und monatlich bis 3.000 Mark erhalten. Zusätzlich verpflichtet sich Wien, jüdische Friedhöfe zu erhalten sowie den Hakoa-Sportverein mit Subventionen von 17 Millionen Mark wiederzubeleben.

Die Verhandlungen standen unter großem Zeitdruck, da US-Unterhändler Eizenstat am Samstag mit Präsident Clinton aus dem Amt scheidet. Sein Nachfolger hätte sich erst wieder einarbeiten müssen, was nicht zuletzt im Interesse der betagten Opfer vermieden werden sollte. Die Regierung in Washington stellt sich offiziell hinter das Abkommen und empfiehlt den Anwälten der Opferverbände, ihre Sammelklagen gegen Österreich zurückzuziehen.

Ariel Muzicant hatte bis zuletzt um höhere Summen gerungen, die Einigung aber schließlich als noch akzeptabel mitgetragen. Dass die Zahlungen weit hinter den tatsächlichen Schäden zurückbleiben würden, war ihm ohnehin klar gewesen.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sprach in einer ersten Reaktion von einem „historischen Augenblick“ und lobte die Einigung als „faires, vernünftiges Ergebnis“. Die Mietentschädigungen sollen noch im ersten Quartal dieses Jahres ausbezahlt werden. RALF LEONHARD

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