Deprimierend gut

■ Ihr jüngster Auftritt in der Glocke geriet für die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen zum umjubelten Heimspiel

lanzvoller Auftakt“ nannte die Deutsche Kammerphilharmoniedas erste Konzert ihrer neuen Saison und brach unmittelbar danach zu einer Spanientournee auf. So verkrampft und weit hergeholt die Konzertüberschriftensuche der Abonnementsreihe meist wirkt, so sehr stimmte es diesmal. Zwar ist das gesamte diesjährige Programm der Kammerphilharmonie nicht eben von Pioniergeist geprägt – aber geschenkt, wenn es zu so überragenden Ergebnissen kommt wie an diesem Abend in der Glocke.

Da ist in erster Linie der 34-jährige Geiger Christian Tetzlaff zu nennen, der Johannes Brahms' schwieriges Violinkonzert op. 77 in tadelloser Überlegenheit zelebrierte. Denn dieses Konzert verweigert bei kompliziertesten Konstruktionen das vordergründig geigerische und virtuose.

Der Solopart klinkt sich vollkommen dialogisch in den Orchesterpart ein, und der große Virtuose des 19. Jahrhunderts Pablo de Sarasate soll gesagt haben, es sei eine Zumutung, im Adagio „mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie die Oboe dem Publikum die einzige Melodie des ganzen Stückes vorspielt“.

Tetzlaff überzeugte durch die transparente Klarheit der virtuosesten Stellen, trieb sie nie über das Orchester hinaus und bestach mit einer geradezu überirdischen Klangschönheit besonders im Pianobereich. So gelangen Stellen wie der Wiedereintritt des Themas nach der Kadenz im pianissimo unnachahmlich.

Daniel Harding führte das Orchester inspiriert, achtete sorgfältig auf den Solo-Orchester-Dialog, war aber nicht selten ganz einfach zu laut. Viele Pianissimi, um die Tetzlaff so akribisch kämpfte, knallte er mit einem Mezzoforte zu. Doch der Gesamtansatz stimmte, Solist und Dirigent erreichten die größte Gemeinsamkeit in der vorsichtigen Auslotung einer herben Melancholie. Im Laufe der drei Sätze war darüber hinaus eine deutliche Steigerung zu merken, und am Ende ging es in die berühmte und so selten vorkommende „Sternstunde“ über.

Dann erklang Robert Schumanns „Rheinische Sinfonie“, deren ungemein strahlender Zug Daniel Harding nun besonders liegt. 1850 enstanden, markiert sie in der Biografie Schumanns den Punkt nach der 1848er Revolution, deren Niederschlagung den deprimierten Schumann tief traf und wo sich die ersten Anzeichen seiner späteren Geisteskrankheit, an der er 1856 starb, bemerkbar machten. „Wohin mit der 'Rheinischen', so lange sie uns rätselhaft isoliert als eine Insel strahlender 'Gesundheit' in einem Meer von Resignation und 'Krankheit' schwimmt?“, fragt der Musikwissenschaftler Peter Gülke und nennt deutlich den melodiegetränkten Schwung, dem sich kaum ein/e HörerIn entziehen kann.

Daniel Harding zeigte auch viele Pfiffigkeiten im persönlichen Zugang zur Musik, für die er immer mehr Dirigier-Gesten entwickeln kann: eine überraschende Synkope, eine wuselnde Nebenstimme oder auch ein bestimmter Zusammenklang, in dem er nur allzu gerne bleiben zu wollen scheint.

Eingangs hatte das Orchester in kleiner Besetzung mit der Soloflötistin Bettina Wild Johann Sebastian Bachs Ouvertüre in h-Moll gespielt, die mit der berühmten 'Badinerie'. Auch wenn der Klangcharakter der originalen Traversflöte für mein Verständnis hier unersetzbar ist, fand Bettina Wild doch zu einem wohlausgewogenen Klangbild und einem überzeugenden und virtuosen stilistischen Ansatz.

Auch für sie also viel Beifall. Der Stellenwert, den die Deutsche Kammerphilharmonie inzwischen beim Bremer Publikum einnimmt, war schon am Eingang der Glocke zu erkennen: „Karte gesucht“. Das hatte es auch bei den Konzerten des Musikfestes nur ausnahmsweise gegeben. Ute Schalz-Laurenze