Utopien an der Endstation

Der abstiegsgefährdete Volleyball-Bundesligist Eintracht Berlin verliert 1:3 gegen den VfB Friedrichshafen – nach dem vereinseigenen Fünfjahresplan soll sich das aber bald ändern

von HOLGER STRÖBEL

Das hier ist nicht Berlin! Ein Industriegebiet, namenlos, austauschbar. Kaum mehr ein Auto verirrt sich hierher an diesem Samstagabend, hüfthoch trotzt das Gras auf brachliegendem Gelände der eisigen Kälte. Der Wind peitscht hier noch erbarmungsloser als schon am Alexanderplatz. Dort in die U5, Richtung Hönow, Endstation. Wer es bis hierher schafft, ist entweder aus Versehen eingeschlafen oder will tatsächlich zum Volleyball. Fast auf der Stadtgrenze zum Kreis Märkisch-Oderland trägt der Bundesligist Eintracht Innova Berlin seine Heimspiele in der Bundesliga aus. Also doch Berlin?

„Wir Hellersdorfer“ – das betont der Hallensprecher lieber einmal zu viel als zu wenig. Die Nachricht vom Cottbuser 4:1 gegen Schalke wird bejubelt. Klar, Brandenburg ist nur einen Aufschlag entfernt, Hertha eine Tagesreise. Und außerdem: Wenn Cottbus Schalke schlägt, warum schaffen dann nicht „wir Hellersdorfer“ den großen VfB Friedrichshafen?

Die Mannschaft vom Bodensee – was Alba Berlin für den Basketball, das ist Friedrichshafen für den Volleyball. In den letzten drei Jahren gelang es niemandem mehr, die Dominanz des Ligakrösus anzukratzen. Egal ob Meisterschaft oder Pokal, der wurde erst am vergangenen Wochenende gegen Düren verteidigt, an Deutschlands südlichstem Zipfel gähnt man gelangweilt und sackt die Trophäen ein. In der nationalen Liga steht man sowieso ohne Verlustpunkt an der Spitze.

Für die Hellersdorfer, momentan zweitletzter in der Tabelle, ist dieses Spiel neben dem Derby gegen den SC Charlottenburg der Saisonhöhepunkt. Für Friedrichshafen eine lästige Pflicht, und zudem mit einer verdammt weiten Anreise verbunden. Ein Satzgewinn, hatte Berlins Trainer Martin Stallmaier vor der Partie gesagt, wäre unter diesen Umständen schon ein Erfolg.

Noch, denn der smarte Österreicher, früher selbst beim VfB Friedrichshafen aktiv, hat höhere Ziele. Nennen wir sie Utopien. Den ehemaligen Arbeitgeber dabei zum Vorbild nehmen? Warum nicht. In der nächsten Saison will man die Play-offs erreichen, zwei Jahre später den SC Charlottenburg als Nummer eins im Berliner Volleyball ablösen und spätestens 2005 einen Titel nach Hellersdorf holen. Das seien keine Utopien, sagt Stallmaier: „Wenn du keine langfristigen Ziele hast, kannst du’s doch gleich vergessen.“ Erst mal muss aber der Klassenerhalt geschafft werden. Leicht wird das nicht, und dass die notwendigen Punkte ausgerechnet gegen Teams wie Friedrichshafen gelingen könnten, hat auch der 35-jährige Coach nicht ernsthaft geglaubt. „Im Volleyball ist es einfach nicht möglich, ein komplettes Spiel mit Glück zu gewinnen.“ Einen Satz vielleicht, einverstanden.

Und das ist den Berlinern auch gelungen. Müde waren die Favoriten zu Beginn noch, die Gastgeber dagegen hoch motiviert. Vor allem dank der Durchschlagskraft des lettischen Mittelblockers Gvido Prieditis und des Ideenreichtums von Jesko Borczanowski ging der erste Durchgang, wenn auch mit 28:26 äußerst knapp, an Berlin. Der Rest war Routine und der 3:1-Erfolg von Friedrichshafen nicht ernsthaft gefährdet. „Nach dem verschlafenen ersten Satz hatten wir wieder genügend Blut im Kopf, um uns an unsere Pflicht zu erinnern“, resümierte ein sichtlich gelangweilter Gästecoach hinterher. Stelian Moculescu hat andere Sorgen. Für die linke Spur zu langsam, für die rechte Spur zu schnell: Noch lässt sich die nationale Erfolgsgeschichte des VfB Friedrichshafen – trotz des zweiten Platzes in der Champions League im Vorjahr – auf europäischer Ebene nicht fortschreiben. Dazu fehlt das Geld. Zwar verfügt Moculescu über einen Zwei-Millionen-Etat, mehr als jeder andere Volleyball-Trainer in Deutschland, international ist er damit trotzdem ein armer Schlucker. Ein Problem, dass Martin Stallmeier nicht fremd ist: „Fast in keiner anderen Sportart kann man Unterschiede im Budget so deutlich auf dem Spielfeld wiedererkennen.“ Die Suche nach Sponsoren sei deshalb genauso wichtig wie ein professionelles Training. Über die Randlage des Vereins ist der Trainer deshalb auch gar nicht unglücklich: „Hier in Hellersdorf sind wir die Nummer eins.“ Wenn da nicht dieser gnadenlose Wind wäre, hier an der Endstation Hönow.