piwik no script img

Lernfähigkeit mündet in Selbstvertrauen

Schalke 04 wendet im Halbfinale des DFB-Pokals die beim Debakel in Cottbus studierte Kunst der schnellen Führung an und schießt den VfB Stuttgart mit dem 3:0 nicht nur aus dem Wettbewerb, sondern auch zurück in alte Tristesse

STUTTGART taz ■ Der gemeine Schwabe gilt ja bekanntlich als besonders sparsam. Gerade in Stuttgart, wo in weiten Teilen der Pietismus noch die Tugenden des Lebens vorgibt. Und Sparsamkeit ist eine Fundamentaltugend. Diese lässt man nicht einfach zu Hause, wenn man sich einmal den weltlichen Genüssen hingibt – wie beispielsweise einem DFB-Pokal-Halbfinale zwischen dem VfB Stuttgart und Schalke 04.

Es war in Minute 14 der Halbzeitpause, da hatten die Stuttgarter, wenn man so will, ihre beste Szene an diesem Pokal-Abend. Ein Ehepaar, beide schätzungsweise im Rentenalter, marschierte die Treppe der Haupttribüne hinunter, schnurstracks in Richtung Stadionausgang. Sagt er zu ihr im Brustton der Überzeugung: „Weisch, wir gehn jetzt, dann komme mer schnell vom Parkplatz runter.“ Es war eine klassische Güterabwägung: Tatsächlich die Hälfte der teuer erstandenen Haupttribünenkarte verstreichen lassen? Den Heimweg ohne großen Stau und damit Zeitersparnis antreten? Mit Sicherheit die richtige Entscheidung: Es ist unnütz – siehe oben – die Zeit zu verplempern.

Im Grunde genommen hätte das schwäbische Ehepaar auch schon nach 18 Minuten gehen können: Das famose Schalker Sturm-Trio Ebbe Sand (3.), Gerald Asamoah (6.) und Emile Mpenza (18.) hatte dafür gesorgt, dass die Partie in die Fußballhistorie als vermutlich am schnellsten entschiedenes Pokal-Halbfinale eingehen wird. „Die Stuttgarter waren wohl geschockt“, analysierte der überragende zweimalige Vorlagengeber Mike Büskens messerscharf, „und wir waren sensationell.“

Was den Ausschlag für den „Klassenunterschied“ (Asamoah) gab, war die unterschiedliche Beantwortung der sportpsychologischen Frage: Wie gehe ich in kürzester Zeit mit erheblichem Misserfolg (Schalke: 1:4 in Cottbus) oder großem Erfolg (Stuttgart: 6:1 gegen Kaiserslautern) um?

Huub Stevens hat mit Wohlwollen vernommen, dass sich sein Team „gut erholt hat von Cottbus“. Es war schon erstaunlich, mit welcher zur Schau getragenen Gelassenheit bei gleichzeitiger Aggressivität und Präzision die Schalker aufgetreten sind. Sportpsychologe Stevens attestierte: „Aus jedem Spiel lernt meine Mannschaft: Zum Beispiel von den Cottbusern, wie man in der ersten Minute in Führung gehen kann.“ Vermutlich macht es ein Spitzenteam gerade aus, dass Selbstkritik bei vorausgesetzter Lernfähigkeit in Selbstvertrauen mündet. Wie zum Beweis hat Ebbe Sand zwar das eigene Spiel in die Kategorie „hervorragend“ eingestuft, nicht aber ohne anzumerken, an der Stabilität auf hohem Niveau weiter arbeiten zu müssen.

Einen Abstiegskandidaten wie den VfB Stuttgart macht vermutlich dagegen aus, dass ein einmaliger Erfolg alle Nüchternheit verloren gehen lässt und sich das „Selbstvertrauen“ schnell – wie gegen Schalke nach drei Minuten – als Fata Morgana erweist. „Es gab keine Anhaltspunkte“, erklärte Trainer Ralf Rangnick ernüchtert, „an denen sich die Mannschaft hätte hochziehen können, hätte ins Spiel zurückfinden können.“

In den Tagen nach dem Kaiserslautern-Sieg haben sie beim VfB Stuttgart vom neuen Wunder-Sturmduo (Adhemar und Ganea) erzählt. Das Engagement des neuen Managers Rolf Rüssmann wurde als Erscheinung messianischen Ausmaßes gepriesen. Mit der Realität aber hatte das recht wenig zu tun.Was auch die Akteure einsehen mussten. „Wir waren vielleicht zu optimistisch“, sagte beispielsweise Heiko Gerber in einem Anflug von Einsicht. Pablo Thiam verortete das Problem fundamentaler: „Wir sind vom Kopf her nicht in der Lage, positive Spiele zu verkraften.“

Nur: Was ist die Alternative? Will der VfB Stuttgart künftig lieber verlieren, weil negative Spiele besser zu verkraften sind? Und: Stellt sich das Problem in der Zweiten Liga dann nicht erst recht? Dem schwäbischen Ehepaar fiele dann vermutlich die Entscheidung leichter: In der Zweiten Liga wird es auf dem Heimweg sicherlich keine Staus mehr geben. THILO KNOTT

VfB Stuttgart: Hildebrand - Schneider, Soldo, Bordon - Thiam, Lisztes (20. Seitz), Balakow, Kauf, (45. Pinto), Gerber (71. Tiffert) - Adhemar, Ganea Schalke 04: Reck - Hajto, Nemec, Happe - Asamoah (85. Kmetsch), van Hoogdalem, Möller, Büskens (77. Eigenrauch), van Kerkhoven - Sand (79. Mulder), Mpenza Zuschauer: 35.000; Tore: 0:1 Sand (3.), 0:2 Asamoah (6.), 0:3 Mpenza (18.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen