: Rätselhafter Geiz mit Bildern
■ Der sonst so einfallsreiche Regisseur und Ausstatter Andrej Woron hat Brecht/Weills „Mahagonny“ eingerichtet: Die kulinarische Kapitalismuskritik bleibt anfangs voller unverständlicher Leerstellen und wird erst später stärker
Ein gelungenes Eingangsbild, das spontan beklatscht wurde: Durch eine weiße Schneelandschaft, die schräg nach hinten ansteigt, fährt ein kleines rotes, voll bepacktes Spielzeugauto: Leokadja Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses sind unterwegs, um Mahagonny zu gründen. Doch der Einfallsreichtum, den diese Szene verhieß, stellte sich in der Neuinszenierung von Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Sadt Mahagonny“ erst einmal nicht ein.
Dabei kennt man die explosiven und fantastischen Bilder des Regisseurs Andrej Woron, der immer auch sein eigener Bühnenbildner ist, aus fünf vergangenen Inszenierungen in Oper und Schauspiel. Hier aber geizte er, zumindest im ersten Teil, sehr damit. Der polnische Regisseur beschränkte sich auf stilisierte und choreographierte Abläufe, die ohne Folgen und Schrecken blieben.
Da wirkten echte Woron'sche Bilder fast fremd als Selbstzitate, zum Beispiel das hinreißend gelungene Bild der Mädchen von Mahagonny in Schaumbädern. Es war zumindest in der Premiere nicht gut zu erkennen, warum er das machte und worauf das eigentlich hinauslaufen sollte. Wenig war zu sehen von den psychischen Spannungen im fiktiven Mahagonny, dessen Menschen mit ihren Vergnügungsangeboten Fressen-Lieben-Kämpfen-Saufen den vorbeiziehenden Goldsuchern und Holzfällern das Geld aus der Tasche ziehen. Jim Mahoney wird zum Tode verurteilt, weil er seine Zeche nicht bezahlen kann – in Mahagonny, wo man „nicht weiß, woran man sich halten muss“, gibt es nur ein Gesetz: Es ist ein Verbrechen, kein Geld zu haben.
Bertolt Brecht und Kurt Weill verstanden das Sujet als Parabel über die Habgier, konkreter den Kapitalismus und wählten sehr bewusst die Form der Oper, um den beabsichtigten Grenzgang zwischen Kulinarik und Lehrstück einzuhalten. Woron führt – und der zweite Teil gelingt ihm unvergleichlich besser als der erste – die Untergangsprophetie und die Endzeitgefühle, die bei der Uraufführung 1930 in Leipzig einen der größten Opernskandale ausgelöst haben, in unsere Zeit, in der das Fernsehen zu Abhängigkeit, Verblödung und Blindheit führt. Und in der der Kollaps des Kapitalismus keine Endzeitprohetie mehr ist, sondern längst eingetreten.
Bleiben im ersten Teil unverständliche Leerstellen, verdichtet sich der zweite Teil durch starke Woron'sche Bilder: Jack frisst sich zu Tode, versinkt im Boden und über ihn purzeln hunderte von gefüllten Tellern. Der Besuch bei den Prostituierten entbehrt nicht der Komik, als die Männer mit den heruntergelassenen Hosen auf allen Vieren unter den Mädchen durchkriechen müssen. Der Boxkampf zwischen Moses und Joe überzeugt durch karrikierende Überziehung. Die Hinrichtung von Jim wird zu einem Jahrmarktsereignis, Jim ist in einem Käfig zu betrachten. Durch einen einfachen Trick wird aus dem verunglückten Auto der drei Mahagonnygründer ein Segelschiff.
Die Szene des herauf- und vorbeiziehenden Taifuns löst Woron, indem er die Menschen regungslos auf dem Boden liegen lässt. Das erhöht die Wirkung der gigantischen Rhönradmaschine und das fordert die Funktion der Musik heraus, die unter der Leitung des ersten Kapellmeisters Stefan Klingele in allerbesten Händen ist. Man hörte vom Philharmonischen Staatsorchester Schärfe, Witz, Ironie, Melancholie und Trauer, und immer war eindrucksvoll er erkennen, wie Weill der dramaturgischen Situation entsprechend das musikalische Genre wechselt.
Anna Maria Kaufmann als Jenny machte leider nur optisch Furore, sowohl gesanglich – scharf, opernhaft und ohne Zwischentöne – als auch schauspielerisch – brav und harmlos – fehlte der Pfiff, ohne den eine Jenny Hill nicht zu gestalten ist. Ähnliches gilt für Mihai Zamfir als Jim, der seltsam undeutlich sang, vielleicht um sich Kraft für seine große Schlussarie aufzusparen.
Leider versteht man kein Wort, auch nicht von Eva Gilhofer (Leokadja). Von guter Präsenz Clemens C. Löschmann als Fatty, Max Wittges als Moses, Loren Lang als Bill, Bartholomäus Driessen als Joe und Can Tufan als Tobby. Gesanglich fiel auf und damit heraus: Tomislav Muzek als Jack, das war wunderbar. Dem Männerchor ist ein Extralob zu zollen, wie die Gruppe agiert in ihrer Massenverderbtheit und gleichzeitig liebenswerten winzigen Individualismen. Kurzer starker Beifall.
Ute Schalz-Laurenze
Weitere Aufführungen: 15., 17. Februar, 18. und 22. März um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz.
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