piwik no script img

Tanz die Kunsttheorie

■ In „Silence, Mr Cage“ tanzt Leonard Cruz zu einem Soundtrack fast ohne Musik

Ob das Handeln das Sein bestimmt oder umgekehrt, wird man je nach philosophischer Provenienz oder Lebenserfahrung so oder so beantworten. Einen prinzipiellen Zusammenhang gibt es jedoch in den meisten Fällen. Auch bei Leonard Cruz und Heiko Senst, die am heutigen Freitag im Concordia Premiere mit ihrer Inszenierung „Silence, Mr. Cage“ haben.

Fangen wir mit dem Sein an: Tänzer und Choreograph Leonard Cruz ist auf den Philippinen geboren und nach seiner Ausbildung in den USA ans Bremer Tanztheater gekommen. Dem Ensemble gehört Cruz jedoch seit gut zwei Jahren nicht mehr an. Ebenfalls freischaffend arbeitet Heiko Senst, der bis 1998 auch am Bremer Stadttheater wirkte, als Schauspieler und Regisseur. Fixe Ensemblestrukturen, fehlende Freiheiten und der Mangel an kreativer Offenheit haben für beide zum Abschied vom Stadttheater beigetragen.

Vor diesem querdenkerischen Seins-Hintergrund der beiden befreundeten Künstler bekommt ihr Handeln, in diesem Fall die Wahl ihres Stückes, eine eigene Verständlichkeit. „Silence, Mr. Cage“ als Hommage an John Cage und Merce Cunningham ist sowohl eine Verbeugung vor zwei Freigeisten des 20. Jahrhunderts als auch ein Experiment in sich selbst. Grundlage der Produktion sind drei Arbeiten des 1992 verstorbenen Cage. Das Schweigestück „4'33“, „45“ aus der für die Bühne bearbeiteten Texttrilogie „Silence“ sowie die „Suite für Toy Piano“.

Im textorientierten „Silence, Mr. Cage“ geht es also weniger um die aus dem Tanztheater bekannte Verbindung von Musik und Tanz, sondern um jene von Wort und Bewegung.

Wobei der Text die Initialzündung lieferte. In ihm sei die Grundidee von „Unbehindertheit und Durchdringung“ angelegt, erklärt Heiko Senst. Diese Offenheit, die zwischen Sprecher und Tänzer genauso wie zwischen Akteuren und Publikum angestrebt wird, entsteht auf dem Boden weitgehender Improvisation. Die von Ernst Jandl ins Deutsche übertragenen Texte sind im Zehn-Sekunden-Takt von Regieanweisungen unterbrochen. Dadurch soll eine geschlossene Atmosphäre verhindert werden.

Demgegenüber steht eine Eigentümlichkeit des Vortrags , die Cages Theorie entspricht, dass Harmonie nur eine erzwungene Beziehung darstellt und Klänge um ihrer selbst willen wahrgenommen werden sollten . Es geht beim Text weniger um dessen Inhalt als um dessen Klang, beim Tanz weniger um Form, denn um Körper. In dieser Ungebundenheit, die im tänzerischen Bereich durch den abstrakten Stil Merce Cunninghams umgesetzt wird, sieht Leonard Cruz den Kern der Inszenierung.

Ungebundenheit, die anderswo vermisst wird. Zusammen mit Heiko Senst bedauert Leonard Cruz, dass nicht nur finanzielle Engpässe, das Schielen nach kommerziellem Erfolg und eine grassierende Verwechslung von Unterhaltungsindustrie und Kultur, sondern auch engstirniges Konkurrenzdenken zwischen Kulturschaffenden in Bremen die Räume für freie Produktionen begrenze. Zumindest schien es für „Silence, Mr. Cage“ keinen ausreichenden Platz beim diesjährigen Festival Tanz Bremen zu geben. Obwohl die Teilnahme Cruz' nicht am Geld scheiterte, ist seine Produktion lediglich locker an das Tanzfestival angebunden. Dass sich im Monats-Leporello des Bremer Theaters darüber hinaus kein werbender Hinweis auf die Produktion befindet, ist zwar einem Versehen geschuldet. Aber vielleicht haben auch hier Handeln und Sein einander beeinflusst.

Matthias Muth

2., 4., 6. März, 20h im Concordia

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen