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Professioneller Bistrokoch

Mit „Ausbildungsberufen, die es bislang nicht gibt“ will die Handelskammer Hamburg auch benachteiligte Jugendliche fördern  ■ Von Sandra Wilsdorf

Papiere entscheiden über Zukunft: Wer einen guten Schulabschluss hat, findet in der Regel auch einen Ausbildungsplatz. Wer aber gar keinen oder einen schlechten Abschluss hat, der hat es immer schwerer, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Denn knapp 30 Prozent aller Auszubildenden kommen aus dem Hamburger Umland, fast 40 Prozent von ihnen konzentrieren sich auf acht kaufmänische Berufe wie Bank-, Versicherungs-, Bürokaufmann und -frau.

Die Arbeitgeber können sich also immer gezielter die Notenbesten aussuchen, die anderen bleiben auf der Strecke. Als Schul- und Jugendsenatorin Ute Pape vor einer Woche die Ausbildungsbilanz 2000 vorlegte, bezeichnete sie die Situation von Schulabgängern mit schwachem Abschluss als sehr bedenklich: „Mit Sorge sehe ich Tendenzen wie in anderen Großstadtregionen, wo man bereits von einem gespaltenen Arbeitsmarkt spricht.“ Besonders stark seien ausländische Jugendliche betroffen. Ihr Anteil an den Auszubildenden gehe seit 1995 zurück. Er sank um drei Prozent auf 8,5 Prozent, obwohl er bei den Schulabgänger mit 18,3 Prozent mehr als doppelt so hoch ist.

Pape sieht dringenden Handlungsbedarf und fordert die Partner der Hamburger Initiative für Arbeit auf, Lösungen zu erarbeiten. Die Senatorin will moderieren, aber einigen müssen sich die Tarifvertragsparteien. Und da hakt es. Die Handelskammer hatte Ende 2000 die Liste „100 Ausbildungsberufe, die es bislang noch nicht gibt – aber geben könnte!“ vorgelegt. Danach kann man innerhalb von drei bis dreieinhalb Jahren zum professionellen Barkeeper, Arbeitsvermittler, Detektiv oder zur Fachkraft für Recycling werden. Oder in zwei Jahren zum Bistrokoch. Die, die keinen oder einen schlechten Schulabschluss haben, können innerhalb eines Jahres einen so genannten Einsteigerberuf für sich erobern: beispielsweise Filmvorführer, Garderobier, Fahrradkurier und Parkplatzaufsicht.

Mit den 100 Vorschlägen will die Kammer einerseits Ausbildungsangebote in Bereichen schaffen, in denen es bisher noch nichts gibt. Andererseits will sie dem Trend begegnen, dass eine wachsende Zahl von Schulabgängern mit den Anforderungen der gängigen dreijährigen Ausbildung überfordert sind. „Die drehen Warteschleifen in Qualifizierungsmaßnahmen, die die Chancen nicht erhöhen“, sagt Thomas Schierbecker von der Handelskammer. Deshalb brauche man Berufe, die einen niedrigschwelligen Einstieg bieten. „Danach kann ja eventuell ein anderer Beruf oder eine Höherqualifizierung kommen“, sagt er und würde am liebs-ten sofort in die konkrete Planung von mindestens acht der 100 Berufe gehen.

Die Gewerkschaften aber sehen Probleme, besonders in den Einsteigerberufen: „Das ist doch reiner Populismus“, sagt Jens Peter Hnyk von der ÖTV Hamburg. Die Hälfte der vorgeschlagenen Berufe sollte ohnehin demnächst neu strukturiert werden. Und viele der restlichen verstießen gegen das Berufsbildungsgesetz. Das legt nämlich unter anderem fest, dass die Berufsausbildung etwas mit einer breit angelegten beruflichen Grundbildung und einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit zu tun hat. Die Handelskammer-Ideen seien aber nicht qualifiziert und nicht breit, sondern ganz konkret. „Das sind doch Billigjobs, die sonst Angelernte machen, daran würde auch eine Schmalspurausbildung nichts ändern“, kritisiert Hnyk. „Man würde jemanden zwei Jahre von der Straße holen, mehr nicht.“ Besonders absurd findet der Gewerkschafter den gelernten Barmixer: „Da haben jetzt gerade mal drei Gastronomen einen Bedarf, aber was macht der junge Mensch danach?“

Natürlich müsse man sich um benachteiligte Jugendliche kümmern, ihnen Perspektiven eröffnen, „aber nicht mit einer Billigausbildung – was soll ich mit so einem Zertifikat anfangen?“ Die Gewerkschaften setzen eher darauf, Jugendlichen in Förderprogrammen zum Schulabschluss zu verhelfen, „dann können sie auf den Zug aufspringen und in die anerkannte Berufsausbildung reingehen.“

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