: Zivilisiertes Geröll
Das Beige der Steine, das Blau des Himmels – und das Gelb der Baumaschinen: Die Architektur Galerie Berlin zeigt alpine Steinbrüche, Tunnelmünder und Ruinenlandschaften der österreichischen Fotografin Margherita Spiluttini
Mit den Ölgemälden „Alpenglühen“ und „Vor dem Sturm“ beginnt in Wolfgang Hildesheimers Erzählung „Ich finde mich zurecht“ für den Protagonisten Robert eine unheilvolle Entwicklung. Die Hochgebirgslandschaften waren Geschenke des Onkels und veranlassen Roberts Freunde, ihn mit weiteren „passenden Geschenken“ wie Spitzendeckchen und Kuckucksuhren zu überhäufen, bis er schließlich das Bett nicht mehr verlassen kann.
Dass Alpenbilder nicht unbedingt rührselig sein müssen, zeigen die Fotografien von Margherita Spiluttini, die derzeit in der Architektur Galerie Berlin zu sehen sind. Eine Aufnahme mit dem nüchternen Titel „Steinbruch, Bad Deutsch Altenburg“ zeigt eine sich tief in den Bildraum ziehende vorgebliche Sandkastenlandschaft, in der Bagger und Sattelschlepper kurven. Dass es sich nicht um eine Playmobil-Inszenierung handelt, wird im unmittelbaren Vordergrund deutlich, wo die aufgeschütteten Gesteinsbrocken einzeln und scharf zu erkennen sind. Die Unschärfe des dahinter entfalteten Panoramas jedoch und seine Farben – das Beige der Steine, das Blau des Himmels, das Gelb der Baumaschinen und das Grün der urwüchsigen Vegetation im Hintergrund – geben dem Bild einen malerischen Charakter. Dadurch wird die menschliche Gestaltung der Landschaft entrückt und wirkt weder verherrlichend noch zerstörerisch.
Mit der 1947 geborenen, in Wien lebenden Spiluttini setzt die Galerie eine Reihe fort, in der freie Arbeiten von Architekturfotografen vorgestellt werden. Das Urteil des Architekturhistorikers Dietmar Steiner, der in den Bildern Spiluttinis nicht die Architektur selbst, sondern eine durch das spezifische Medium dargestellte Idee verwirklicht sieht, lässt sich auch auf die ausgestellte Sequenz mit dem Arbeitstitel „Transit“ beziehen. Es ist das Abweichen von dem geläufigen Bild der „unberührten Natur“ zugunsten des aufgeklärten Blicks auf eine Umwelt, die durch die Integration ingeniöser Bauwerke in die Landschaft eine neue Dimension gewinnen kann. Der zivilisatorische Eingriff in den alpinen Stein ist in den Bildern nicht immer gegenwärtig. In „Steinbruch, Ernstbrunn“ suggeriert eine Wasserfläche unangetastete Natur und erst der zweite Blick erschließt den Abbau, der diese räumliche Situation erst schuf. Auch entpuppt sich eine scheinbare Geröllhalde als Stützwand oder wirkt eine Brücke mit einem Tunnelmund aus Beton eher wie eine Ergänzung des Felsens als dessen gewaltsame Durchbrechung.
Vor allem aber begrenzen die Alpentableaus angesichts der weiten Horizonte oder der im Hintergrund und an den Seiten offenen Prospekte den Blick in keiner Weise. Statt dessen findet das Auge einen Halt an den Zeugnissen menschlicher Eingriffe wie in Fußstapfen. Die Spuren stammen nicht von Yetis, sie sind ein Zeichen dafür, dass die Spannung zwischen Technik und Natur ästhetisch aufgefangen ist.
MICHAEL KASISKE
Bis 17. 3., Di.–Fr. 15–19, Sa. 12–16 Uhr, Architektur Galerie Berlin, Reinhardt-str. 27c
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