: Schokoladenpolitik
betr.: „Bittersüß wie die erste Liebe“ von Barbara Kerneck, taz vom 28. 2. 01
Vor der Verstaatlichung der Moskauer Schokoladenfabrik Einem wurde mit dem Bild eines kindlichen Lockenköpfchens geworben, das einen kaloriensüchtigen Hilferuf ausstößt: „Dort Onkel Einem? Bitte sehr: / Schicken Sie uns Kakao doch her! / Tun Sie uns eiligst den Gefallen, / Denn Ihr Kakao, der schmeckt doch allen: / Mama, mir, auch der Nachbarsfrau, / Selbst Möpschen, unserem Wauwau!“
Ein Plakat aus der gleichen Zeit zeigt einen hübschen Jungen, der von der Moskauer Innenstadt her mit einem einzigen Schritt die Moskwa überschreitet und damit auf dem Weg zur Schokoladenfabrik Einem/„Roter Oktober“ ist, die dort ihr Werksgelände hat. Die Unterschrift lautet: „Mein erster Schritt“. Dieses Plakat hatte der Maler Hermann Mehnert entworfen und sein Sohn Klaus hatte ihm Modell gestanden. – So jedenfalls wird dies von Klaus Mehnert in seinem Buch „Der Sowjetmensch“ von 1958 erzählt, mit dem ihm seinerzeit der Schritt in die breite Öffentlichkeit gelang. In den Sechzigerjahren war Klaus Mehnert einer der wichtigsten politischen Publizisten der Bundesrepublik.
Gerne wies er darauf hin, dass die Schokoladenfabrik seinem Großvater Julius Heuss gehört hatte und er bei seinen zahlreichen Besuchen in der Sowjetunion die Erzeugnisse des „Roten Oktober“ bevorzugte. „Es sind immer noch die besten“, pflegte er zu sagen. Mit diesem familienpatriotischen Lob machte er sich allerdings in Moskau nicht nur Freunde.
In einer sowjetischen Rezension seines Buches wurden ihm Beobachtungen, Analysen und Erinnerung zu einer bitterbösen Mousse zusammengerührt: „Der Enkel seines Großvaters stellt dem Sowjetvolk [. . .] das lächerliche Ultimatum: Lasst den kommunistischen Aufbau bleiben, restauriert in der UdSSR den Kapitalismus, gebt mir die Schokoladenfabrik zurück, oder es muss Krieg geben!“
Im Kampf der politischen Systeme schreckte man eben selbst vor einer Politisierung der Konfiserie nicht zurück.
MICHAEL KOHLSTRUCK, Berlin
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