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Mönch auf Wolken

■ Kahlköpfiger Merlin in Nebelschwaden – und dazu Sibelius: Hamburg Ballett tanzt wieder John Neumeiers „Artus-Sage“

Britanniens König Artus ist zurückgekehrt. Zwar nicht mit geheilten Wunden von der Feeninsel Avalon, worauf die Legende bis heute wartet, dafür zurück auf die Staatsopernbühne, um in dritter Auflage die Chronik seines sagenumwobenen Lebens inmitten seiner ruhmreichen Tafelrunde zu durchlaufen. Die Artus-Sage, die John Neumeier 1982 für das Hamburg Ballett schuf und 1986 für die Kampnagelfabrik überarbeitete, steht jetzt wieder auf dem Spielplan, interpretiert von einer neuen Tänzergeneration.

Der Merlin, dieser dem keltischen Glauben entsprungene Magier, lenkt die Geschicke seines Schützlings und späteren Königs, zwingt ihn, das Schwert Excalibur zu führen. Denn wie so oft in Neumeiers Dramaturgie hadert der vom Schicksal auserwählte Führer mit der Macht. Kahlköpfig gleicht Merlin hier einem buddhistischen Mönch, einem Taiji-Meister, der wie auf Wolken wandelnd seine Kreise zieht. Jacek Bres, der kurzfristig für den erkrankten Ivan Urban einsprang, tanzt ihn mit der Präsenz eines geistigen Kriegers.

Merlins Erinnerung ruft im Schnelldurchgang die Artus-Genealogie wach. John Neumeier folgt ihr in all ihren komplexen Verzweigungen, tiefenpsychologischen Deutungen und archetypischen Zuschreibungen, die der Mythos im Laufe der Geschichte erfahren hat. Choreografisch vertraut er dabei wenig auf die Intuition und die Eigendynamik der Bilder, wie er es beispielsweise in seinem Nijinsky-Ballett erfolgreich getan hat, sondern beharrt hier auf der Eindeutigkeit von Zeichen, Gesten und Posen. Die Starre, die das symbollastige, expressive, vom Modern Dance beeinflusste Vokabular, gespickt mit historischen Tanzzitaten, umklammert, wurde dem Ballett schon bei der Uraufführung angelastet. Umhüllt von dichten Nebelschwaden und in die spätromantischen Klangbilder von Jean Sibelius getaucht, schlagen sich Krieger und Banden, formieren sich edle Ritter im Rund, wogen die Frauen vom See in blauen Gewändern.

Dass dieser Abend dennoch zum Erlebnis wird, verdankt er vor allem Heather Jurgensen, die als Artus' Königin Ginevra dem Ritterepos Seele einhaucht. Sinnlich, emotional und mit technischer Eleganz leuchtet sie hier den Zwiespalt zwischen Leidenschaft und aufrichtiger Treue aus. Joelle Bologne fasziniert als magisch dunkle Verführerin in der Rolle der Fee Morgane, die in einer beeindruckenden Szene dem Merlin die Macht entreißt. Dafür ernteten John Neumeier und sein Ensemble stürmischen Applaus. Nur Lloyd Riggins tat sich schwer, neben Lancelot, Galahad und seinem Sohn und Gegenspieler Morderd, dem König Kontur zu geben. Irmela Kästner

Weitere Vorstellungen: 13., 16., 18., 20. März, 6. April, Staatsoper

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