Launische Sprungmatte

Zum achten Mal gewannen die Trampolin-Turner des Vfl Lichtenrade die Berliner Meisterschaft

von MARKUS VÖLKER

Sie schien mit dem Scheitel die Hallendecke zu berühren. Schoss dann hinab aufs Trampolin. Schnellte wieder nach oben. Schraubte sich durch die Luft. Geriet kurz aus der Balance. Knallte auf die Matte. Kein Problem. War nur das Einspringen. Nina Blisse (21) schaut frustriert. Eine Zerrung hat sie sich geholt. „Alle machen das eigentlich nur aus Spaß“, sagt Blisse und muss sich ein wenig zu dem Satz zwingen. Trampolin-Turnen bestraft fast jeden Fehler. Die Springer verlieren an Höhe. Müssen ihre Übung umbauen. Landen auf den Federn. All das bringt Punktabzüge. „Rausfliegen kann vor allem am Anfang häufig passieren“, sagt die Berliner Meisterin. „Man freut sich zwar nicht, aber die Matten sind ja da.“

Wie launisch die Sprungmatte sein kann, musste Anna Dogadze bei Olympia in Sydney erfahren. Sie war immer vorn, in Pflicht und Kür. Im Finale wurde ihr ein Rudy zum Verhängnis. Ein Meter Höhe fehlte. Der Doppelsalto rückwärts mit zwei Schrauben im Schwierigkeitsgrad 1,4 funktionierte nicht. Dogadze wurde nur Letzte. Zum ersten Mal war Trampolin-Turnen olympisch. Genauso wie Taekwondo, Triathlon und Softball.

Über 12.000 Zuschauer kamen in Sydney pro Tag zum vermeintlichen Zirkusvergnügen und staunten so wie Annika und Tommi über Pipi Langstrumpf, die auf einem riesigen Bett, so vermuteten die zwei, Kapriolen schlug. „Wir haben längst nichts mehr mit Zirkus zu tun“, sagt Blisse. Dass ist schon daran zu erkennen, dass es wie bei einer Turnstunde zugeht. Zu Beginn der Berliner Mannschaftsmeisterschaften heißt es Aufstellung nehmen. Eine Handvoll Zuschauer verlieren sich in der Turnhalle an der Osdorfer Straße. Turnvater Jahn ist unverkennbar der Ahnherr der Veranstaltung.

Obwohl Dogadze in Australien patzte, kam Trampolin-Turnen in die Stufe II der Bundesleistungsförderung und hat Turnen abgehängt. Der Vize des Deutschen Turner-Bundes (DTB), Eduard Friedrich, fordert nun Medaillen von den Springern. „Sie müssen in den Medaillenbereich kommen“, so Friedrich. Der mehrfache Berliner Meister Uwe Wochnowski (38) glaubt, dass der Verband gar keinen Druck machen muss. Die Deutschen haben bei der Jugend-EM fünf von sechs Titeln gewonnen. „Trampolin braucht sich nicht zu verstecken, auch in Berlin nicht“, sagt er. Die Jugendlichen Dominic Gröger und Dirk Erhard stehen im Nationalkader. Und auch Nina Blisse ist nah dran.

Im Kampf um Aufmerksamkeit hat es die Sportart noch nicht weit gebracht. Bei Olympia zeigten die Öffentlich-Rechtlichen nur ein paar Minuten lang Fliffis (Doppelsalto gebückt mit halber Schraube) oder Auerbach-Salti. Wochnowski kennt die Probleme des Trampolin-Turnens hinlänglich: „Wir brauchen in Berlin ein Sichtungssystem, dazu hauptamtliche Kräfte“, sagt er, „und ein Leistungszentrum – meinetwegen in einem Gewerbegebiet und mit einem Betonfußboden.“ Anspruchsvoll sind sie nicht, wenn nur die Decke der Halle hoch genug ist. Endlich sollen die 7.000 Mark teuren Geräte einen festen Standort haben und nicht vor drängelnden Handballern dreimal wöchentlich hektisch abmontiert werden. Statt einer landesweiten Förderung müsse sich momentan „alles aus den Vereinen hochfressen“.

Zum Glück können die Springer mit dem Kopf üben, mit den spärlichen Hallenzeiten allein ließe sich kein Pokal gewinnen. „Man braucht Intelligenz, das spart Training. Wir turnen im Kopf viel mehr Übungen als auf dem Trampolin“, sagt Wochnowski, der wie Blisse beim VfL Lichtenrade hüpft. Beide gewannen am Samstag mit ihren Mannschaften das Turnier. Teams vom SSC Südwest und dem TSC platzierten sich dahinter.

In drei Wochen wird um die Einzeltitel in Berlin gekämpft. Wochnowski will das zum Anlass nehmen, „von den ausgetretenen Wegen wegzukommen.“ Ein Videoprojektor soll die Zuschauer über die Wertungen der fünf Kampfrichter informieren, der Mief sich aus den Hallen verziehen. Vielleicht kommt sogar ein Fernsehteam des SFB. Er sagt: „Noch hat sich das öffentliche Bild nicht gewandelt. Wer nicht im Fernsehen ist, existiert offenbar nicht.“ Sponsoren machen einen Bogen um das Trampolin. Nur die Kids haben ihre Freude an der Fortsetzung des Matratzenquälens mit turnerischen Mitteln. „Die Anfänger sind gar nicht mehr runterzubekommen vom Trampolin“, sagt Blisse. Sie turnt nach ihrer harten Landung vorerst im Kopf weiter.