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Mit dem Kopf im Klavier

„das neue werk“ widmet den zweiten Teil seiner Jubiläumsreihe Boulez, Manoury, Rihm und Varèse  ■ Von Christian T. Schön

Nach 35 Jahren ist Pierre Boulez diese Woche erstmals wieder zu Gast beim Hamburger „neuen werk“. Anlass ist ein Porträt des Komponisten, Dirigenten und Musiktheoretikers Boulez im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums der Reihe. Pierre Boulez, Jahrgang 1925, fand 1942 zur Komposition. Seine Lehrer waren Olivier Messiaen und René Leibowitz. In der Folge dirigierte er mehrfach Wagner in Bayreuth, war Leiter des BBC Symphony Orchestra und der New Yorker Philharmoniker. 1976 gründete er das Ensemble InterContemporain und baute das IRCAM, ein Forschungsstudio für Computertechnologie und Akustik, in Paris auf; beide sind am jetzigen Konzertprogramm beteiligt.

Boulez'Arbeitsprozess zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Werke immer wieder überarbeitet, sie zurückhält, zurückzieht oder unvollendet lässt. Viele seiner eigenen Werke bilden wiederum Grundlage für neue Kompositionen.Anthèmes II entstand aus Anthèmes, sur Incises aus Incises; die zwei Improvisations I & II sur Mallarmé (1958 im „neuen werk“ uraufgeführt) gingen in Pli selon Pli auf. Dérive II (1988-95) ist eine Studie über periodische Rhythmusüberlagerungen; Dérive I (1984) eine kurze Elegie über harmonische Klangteppiche, in die sich zum Schluss eine deutliche Melodie einknüpft. Ausgehend von Incises (1993/94), einer vierminütigen Toccata für Piano solo, verteilte Boulez in sur Incises (1996/98) die Klangcharakteristika des Klaviers auf drei mal drei Instrumente. So ähnlich dürfte es klingen, wenn man den Kopf ins Klavier hält.

Edgard Varèses Intégrales für Blasinstrumente und Schlagzeug (1924) bildet den Auftakt für den zweiten Konzertabend. Als Vorläufer der konkreten Musik damals „für akustische Mittel komponiert, die noch nicht existieren, die aber früher oder später geschaffen und verwendet würden“ (Varèse), ist es ebenso programmatisch wie Boulez' Engagement für den Einsatz elektroakustischer Medien in der Komposition.

Diese Entwicklung hat die so genannte Klassische Musik bis auf wenige Ausnahmen bisher verpennt, während die neuesten Trends in der elektronischen Musik bereits in die Popmusik eingingen. Heute bewaffnen sich Bands und DJs mit Bergen von Effektgeräten und Computerprogrammen, bevor sie auf die Bühne gehen.

In Anthèmes II für Violine und Elektronik (1997) gibt Pierre Boulez diesem Bemühen erneut Ausdruck. Mittels zweier Computer-programme wird das Spiel der Solo-Violine (Jeanne-Marie Conquer) mal vervielfacht, mal ihr Klang verzerrt oder verfremdet und ihrem Live-Spiel unterlegt. Das Ergebnis klingt, als hätte man DJ Spooky oder Coldcut das Stück zum Sampeln oder Remixen überlassen.

Unter der Leitung von Pierre Boulez spielt das Ensemble InterContemporainaußerdem Werke von Philippe Ma-noury und Wolfgang Rihm, sowie Boulez' Improviations I & II sur Mallarmé (1957/58). Etwas von exklusivem Popkonzert hat „das neue werk“ aber, wenn es – wie letztes Mal – wieder ausverkauft ist und vorrangig von jungen Leuten besucht wird.

21. und 23.3., 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio, Oberstr. 120; Radio 3 (NDR), 24.3., 22.15 Uhr

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