: Im Winterbuchverkauf
Vom merkwürdigen Mehrwert remittierter Titel
Als ich vor kurzem im Winterschlussverkauf endlich das Kaufhaus verlassen wollte, musste ich unwillkürlich vor einer Kiste Halt machen, die in orangefarbenen Lettern warb: „Taschenbücher – nur 5, 95 DM“. Da lagen sie, die Schiffbrüchigen von Suhrkamp bis Reclam, so verbilligt der Schmach ausgesetzt, dass sich Kaufen und Retten in meiner Brust zu ein und demselben Gefühl von Mitleid vereinten. Zwischen den üblichen Aliens, also Klaus Mann und Virginia Woolf, kam ein dünnes Büchlein zum Vorschein, auf dem „Das kommunistische Manifest“ geschrieben stand. Im Handel hatte es einmal, so der offizielle Aufdruck, fünf Mark gekostet.
Der Marxsche Mehrwert erhält so eine ganz neue Bedeutung. Um wirklich als unzeitgemäß, fremd und verboten zu gelten, genügt es längst nicht mehr, einfach nur im Ramsch zu liegen. Man muss dort mindestens trotz oder gerade wegen des blauen Remittenden-Stempels teurer als ohne einen solchen sein.
Die Remittenden tragen den verlogenen blauen Aufdruck „Mängelexemplar“, obwohl doch der einzige Mangel, den sie aufweisen, fast immer nur aus dem Stempel besteht. Diese Stempel sind es zugleich, die ihnen das Stigma verleihen, derart ausgesondert und verworfen zu sein, dass sich im Grunde jeder schämen muss, ein solches Buch zur Kasse zu tragen. Beim Blättern wird man die Angst nicht los, mit blauem Daumen einen ähnlichen Tod zu sterben wie die allzu wissbegierigen Mönche in „Der Name der Rose“. Von dieser Angst wusste auch eine geschäftstüchtige Druckerei im Raum Wiesbaden, in deren Schaufenster zu lesen war: „Wir entfernen Ramsch-Stempel von Ihren Büchern“. Handschriftlich stand darunter ergänzt: „nur Taschenbücher“.
Aus reiner Neugierde suchte ich zwei Tage später noch einmal die Kiste auf. Woolf lag noch, das Manifest war weg. Mehrwert und Umberto-Eco-Effekt hatten ihre Wirkung gezeigt. Möge der Käufer bloß nicht mit blauem Daumen über der Lektüre gestorben sein. MARTIN BÜSSER
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