: Der Neue, ein netter Pedant
Nach Stefan Jürgens’ Abgang suchte und fand der SFB einen Nachfolger als Kommissar: Boris Aljinovic macht im „Tatort“ seine Sache so gut, dass die Drehbuchschreiber leider ihre Hände in den Schoß gelegt haben („Berliner Bärchen“, So, 20.15, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Berlin braucht einen neuen Kommissar. Doch in einer Stadt, wo mit proletarischem Gebaren ebenso wie mit Metropolen-Glamour kokettiert werden kann, ist die Suche nach einem passenden Repräsentanten eine schwierige Angelegenheit. Nachdem Stefan Jürgens Mitte letzten Jahres seine Fernsehbeamtenlaufbahn beendet hatte, wurde allerorten über die notwendigen Charaktereigenschaften des Nachfolgers räsoniert: Die Person sollte den matten Geschmack eines Schultheiss zu schätzen wissen, aber auch das Flair eines Weltenbürgers versprühen.
Boris Aljinovic tut weder das eine noch das andere. Trotzdem repräsentiert der 33-Jährige, der jetzt den neuen zweiten Mann des SFB-Tatorts gibt, besser als jeder andere das neue Berlin. Denn der blasse Knirps sieht aus wie einer der unzähligen Regierungsbeamten, die inzwischen die Stadt bevölkern. Sein Ermittler Felix Stark ist ein bisschen pedantisch, aber auch recht praktisch veranlagt. Ein Pfiffikus, dem die Mühlen der Bürokratie nichts anhaben können. Jedenfalls kann man sich nicht vorstellen, dass er sich wegen Gehaltsstreitigkeiten aus dem Staatsdienst verabschiedet. Sein Vorgänger Hellmann indes hat genau das getan: In Anspielung auf die zu hohen Gagenforderungen, mit denen Hellmann-Darsteller Stefan Jürgens an den SFB herangetreten ist, heißt es in der Tatort-Folge beim Dienstantritt des Neuen, der Kollege sei „in die Privatwirtschaft gewechselt“. Er mache jetzt mit einem eigenen Sicherheitsunternehmen seinen Reibach.
Der Abgang von Jürgens ist zu verschmerzen. Zwar hat sich der passable Blödler aus „RTL Samstag Nacht“ über sechs Tatort-Folgen zu einem passablen Kommissar gemausert, doch konnte er sich gegen den Kollegen Dominic Raacke nie wirklich behaupten. Die beiden Ermittler waren sich einfach zu ähnlich – zwei streunende Junggesellen, die zu viel tranken und jedem Rock hinterhertapsten. Das ist jetzt anders: Während sich Raacke, ein Mann wie eine kranke Eiche, weiter durch das undurchschaubare Leben seiner Figur säuft, behält Aljinovic, der sich als Kommissar schon mal Beschimpfungen wie „Zwerg Nase“ anhören muss, stets den Überblick. Nach den üblichen Startschwierigkeiten werden die beiden natürlich ein eingeschworenes Team. Dann sind sogar ein paar verschämte Zärtlichkeiten erlaubt: Eimal fuchtelt Aljinovic mit einem winzigen Teddy vor der Nase des eingeschnappten Kollegen rum und tröstet ihn mit verstellter Stimme.
Drollig und dynamisch kämpfen sich Raacke und Aljinovic also durch die erste gemeinsame Episode. Die eklatanten Mängel des Drehbuchs können aber auch sie nicht überspielen. Denn auch wenn man beim SFB, wo man sich mit den Tatort-Produktionen schon immer schwerer getan hat, nach Jahren unerquicklicher Experimente endlich wieder eine viel versprechende personelle Konstellation gefunden hat – das Skript wird hier offensichtlich immer noch im Losverfahren entwickelt. Die Geschichte von „Berliner Bärchen“ ist nur ein wackeliges Gerüst aus Zufällen. Es geht hier um Lottofieber und illegale Einwanderer. So wird Volkes Seele angesprochen, aber ebenfalls ein brisantes politisches Thema angegangen. Doch angesichts der soziokulturellen Komplexität müssen die in ihren erzählerischen Mitteln offensichtlich arg begrenzten Autoren schnell kapitulieren: Die Besitzerin der Lotto-Annahmestelle ist zufälligerweise Polin – und genauso zufälligerweise auch die Ex-Flamme eines der Ermittler. So bleibt die Handlung überschaubar. Und schlichtweg haarsträubend.
Nur eine Wendung in der Story ist irgendwie anrührend: Die beiden Polizisten gewinnen doch tatsächlich den Jackpot, gehen aber im Trubel der Untersuchungen des Lottoscheins verlustig. Deshalb müssen sie auch in Zukunft ihr karges Beamtendasein fristen. So gefallen uns die Cops des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am besten: vom Schicksal gebeutelt und vom Vorgesetzten gegängelt. Wer das nicht aushält, soll doch zu den Privaten gehen.
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