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Die Angst vor der Retorte

Mannheim führt im Viertelfinale der Playoffs mit 2:1 gegen die Berlin Capitals, die Buchhaltung beider Clubs ist jedoch ständig am Verlieren – das ewige Delikt der Deutschen Eishockey-Liga

Aus Mannheim GÜNTER ROHRBACHER-LIST

Wenn im Fußball die Gastmannschaft nach sechs Minuten mit 3:0 führt, ist die Sache meist gelaufen. Aus und vorbei. Und auch der Ersatztorhüter kann nichts mehr retten. Er muss eh auf der Bank verharren.

Nicht so im Eishockey. Das dritte Playoff-Spiel zwischen den Adlern Mannheim und den Berlin Capitals im Mannheimer Friedrichspark brachte all das, was den Pucksport so interessant macht: drei überfallartig erzielte Treffer der Berliner, einen verschossenen Penalty der Adler, einen Torwartwechsel, der das Spiel wendete – und kurz vor der Schlusssirene gab’s sogar noch eine Massenschlägerei mit den streitlustigen Berlinern.

Urplötzlich standen 44 Spieler auf dem Eis und prügelten aufeinander ein, was Mannheims Trainer Bill Stewart derart anstachelte, dass auch er zur Berliner Bank eilte und sich mit seinem Kollegen Pavel Gross eine Boxeinlage lieferte, die sogar mehrere Polizisten auf den Plan rief. Die Berliner fordern nun ein lebenslanges Berufsverbot für Steward. Nach den Tumulten siegten die Adler dann noch mit 4:3 durch ein Tor in der letzten Minute.

Der Frust saß zunächst tief bei den Adlern. Die Capitals, die noch am Freitag zuvor an gleicher Stelle mit 1:5 untergegangen waren, aber am letzten Sonntag mit 4:3 im Sudden Death ausglichen, ließen nie erahnen, dass sie immer noch auf ihre Gehälter für Februar und März warten. Sondern: Sie kämpften. 5,7 Millionen Mark Schulden sollen die Capitals haben, und erst vor kurzem beschlossen ihre Gesellschafter eine Kapitalerhöhung – damit Anfang April endlich Zahltag ist.

Die Finanzlage der Capitals offenbart auch noch im siebten Jahr der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) deren Grundproblem: Immer wieder geraten Clubs in Zahlungsschwierigkeiten. Die Schwenninger Wild Wings zum Beispiel. Obwohl der baden- württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel vor der Landtagswahl seine Unterstützung zusagte, ist dadurch das Loch im Etat (750.000 Mark) noch lange nicht gestopft. Jetzt schon verkaufen die Schwenninger Dauerkarten für die nächste Saison, verschenken je ein Essen für hundert Mark und legen das Geld auf ein Treuhandkonto.

In Mannheim, wo man nur wenige hundert Meter von der Geburtsstätte des Philosophen Ernst Bloch in Ludwigshafen entfernt spielt, soll ein neues, komfortables Eisstadion gebaut werden. „Sonst wird es schwer, den Standort Mannheim in der DEL zu halten“, sagt Mitgesellschafter Daniel Hopp, eishockeybegeisterter Filius des SAP-Aufsichtsrats Dietmar Hopp. Beide Hopps halten je 50 Prozent an der Adler-GmbH. Schenken wollen sie ihren Adlern das neue Stadion, für das noch ein passender Ort gesucht wird, aber nicht. In der Diskussion ist ein über dem Rhein schwebendes Stadion für 12.000 Zuschauer, genau zwischen Mannheim und Ludwigshafen.

Eile ist geboten in der Kurpfalz, schließlich hätten die Adler vor zwei Jahren nach ihrem Titel-Hattrick beinahe aufgeben müssen, wäre da nicht der Sponsor gewesen. Doch der will die Defizite, die jedes Jahr zwischen ein und drei Millionen ausmachen, nicht mehr lange tragen. Die Angst, Mannheim könnte die Lizenz an neureichen Retortenclub verkaufen müssen, geistert durch die Köpfe. Die München Barons oder die Revier Löwen aus Oberhausen etwa gelten als Artefakte der Liga.

Erlebnisse wie vorgestern Abend wären dann Historie. Und Mannheims Eishockeyfans würden nie wieder ein Drama wie im Schlussdrittel gegen die Capitals erleben. Trotz galoppierender Müdigkeit nach ihren Scharmützeln mit und ohne Stock und geschwächt von Strafzeiten zeigten die Adler, dass sie niemals aufgeben. „O, Merc, o, Merc“, hallte es durch die Freiluftarena, nachdem Steve Junker zum 3:3 ausgeglichen hatte. Als das Siegtor fiel, brachen die Dämme.

Die Chöre hatten etwas Wehmütig-Nostalgisches, war doch der Stammverein der Adler, der Mannheimer ERC, vorige Woche aufgelöst, allerdings auch flugs wieder neu gegründet worden, um den Spielbetrieb der Jugendteams zu sichern. Auch das ist nur ein Symptom des deutschen Eishockeys im Jahr 2001.

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