: Hinten, vorne, überall
Kaum übernimmt Fußballretter Sebastian Deisler bei Hertha das Kommando, überzeugt die Mannschaft auch spielerisch und gewinnt gegen den TSV 1860 München völlig verdient mit 3:0
von FRANK KETTERER
Alle Häme kam von oben, direkt von jener Balustrade, unter der die Herren Fußballer durchwandeln, wenn sie nach getaner Arbeit zurück wollen in den Bauch des Olympiastadions. Dort stehen die Knirpse und hoffen darauf, ein kurzes Auge-in-Auge mit den Kickerstars erhaschen zu können. Und dort stand auch das Bürschchen im Hertha-Trikot, das die Gunst der Stunde nutzte, um gleich einen ganzen Kübel Hohn auszugießen über den vorbeischleichenden Keeper der Gäste. „Hey Simon“, spottete der kleine Drecksack von dort oben, „du bist ja echt ein toller Torwart.“
Autsch, das saß. Treffer in der dritten Halbzeit, nachdem das Gästeschiff schon in den beiden vorangegangenen versenkt worden war. Eben weil Simon Jentzsch, der Torhüter des TSV 1860 München, bei zwei von drei Toren zumindest keine sonderlich glückliche Figur abgegeben hatte. Beim 2:0 in Minute 78 war er zu spät gekommen, was Rehmer noch im Fallen den Pass zu Preetz gestattete, der unbedrängt einlochte; beim 3:0 elf Minuten später sprang Jentzsch schlichtweg zu kurz, was erneut Preetz die Freude des Torschusses schenkte. Da war nur gut, dass im Löwen-Lager bereits Hertha-Treffer eins, nach 19 Minuten von Alex Alves eingeköpfelt, als spielentscheiden empfunden wurde. An dem nämlich traf Jentzsch keine Schuld.
Ohnehin gab es später nichts zu Rütteln am Sachbestand, dass die Berliner die überraschend deutlich überlegene Mannschaft stellten und selbst das 3:0 nicht zufällig zustande gekommen war. „Wir haben uns viele Chancen erarbeitet und keine zugelassen. Das 3:0 geht in Ordnung“, fand etwa Kostas Konstantinidis. Mehr noch: Dass die Menschen im Stadion am Samstag nach dem Sieg nicht wie zuletzt mürrisch von dannen zogen, sondern brav verharrten und herzlich Beifall spendeten, darf durchaus als Beleg gewertet werden dafür, dass sie diesmal sogar ganz zufrieden waren mit der Darbietung ihrer Hertha, was nun wirklich schon lange nicht mehr der Fall war.
Als Hauptgrund hierfür war just jener junge Mann ausfindig zu machen, der seit vergangener Woche als der Erretter des deutschen Fußballs im Allgemeinen wie im Besonderen gilt: Sebastian Deisler. Und endlich und erstmals durfte der 21-Jährige auch bei Hertha jene Rolle spielen, die ihm ganz offenbar die liebste ist: im zentralen Mittelfeld, dort also, wo das Spiel angekurbelt wird. Und wie er kurbelte. Basti vorne, Basti hinten, Basti überall. Und meist hatte es Hand und Fuß, was dabei herauskam, etwa beim 1:0, bei dem Deisler Torschütze Alves eine Flanke zielgenau auf den Kopf zirkelte.
Wenn nicht alles täuscht, wurde der Hertha an diesem Samstag ein neuer Spielmacher geboren, geburtsvorbereitet vom obersten deutschen Teamchef selbst. Dass Rudi Völler es war, der Hertha-Trainer Jürgen Röber auf die Idee bringen musste, Deisler das Kommando zu übergeben, wurde freilich dementiert, wenn auch indirekt. „Wir wissen ganz genau, was Sebastian für Qualitäten hat“, gab Röber am Samstag bekannt, im Übrigen habe er schon nach dem miesen Cottbus-Spiel beschlossen, „dass Sebastian in die Mitte rückt“. Egal wie’s war, Hauptsache er bleibt zunächst mal dort.
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