Zwischen Embryo und Qualle

Der Philosoph als Politiker: Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin diskutierte in der Berliner Katholischen Akademie über seinen Begriff der Menschenwürde sowie gegen seinen Ruf als Emryonenverwerfer

Dürfen Politiker Philosophen sein? Ethikexperten gar? Der platonischen Forderung nach Philosophen als Staatenlenker hatte Karl Popper entsetzt entgegengehalten, dass Politik mittels geschlossener philosophischer Konzepte zweifellos in die Tyrannei münde. Nun ist ein Philosoph Kulturstaatsminister – und mit seinen ethischen Vorstellungen prompt gegen eine politische Wand gerannt. Es sei kaum sinnvoll, Embryonen Menschenwürde zuzusprechen, hatte Julian Nida-Rümelin im Januar in einem Beitrag für den Tagesspiegel behauptet. Aufruhr: ein deutscher Tabubruch. Hatte man doch noch in der letzten großen Abtreibungsdebatte nur mühselig die Kurve bekommen, indem man eine Abtreibung als rechtswidrig, aber straffrei definierte und so die Würde des Embryos zu retten meinte.

Die Kritiker dieser widersprüchlichen Formulierung sind zahlreich, Julian Nida-Rümelin gehört dazu. Doch in der aktuellen politischen Debatte steht der Kritiker der Embryowürde sofort im Verdacht, ein windschnittig vor dem Schröder-Fortschrittsgebrause segelnder Embryonenverwerfer und Menschenzüchter zu sein.

So geriet auch das Podium zum „Streit um das therapeutische Klonen: die Konsequenzen“ in der Berliner Katholischen Akademie am Dienstagabend vor allem zu einer Nida-Rümelinschen Rechtfertigung seines Würdebegriffs. Dem Kontrahenten, seinem alten Tübinger Kollegen Dietmar Mieth, ebenfalls Professor für Ethik, blieb lediglich die undankbare Rolle, Einwände vorzubringen, die man leider nicht mehr diskutieren konnte – „der Herr Minister hat anschließend noch einen Termin“.

Dem philosophierenden Politiker geht es tatsächlich um die theoretische Stringenz: Die juristischen Konstruktionen um die embryonale Würde findet Nida-Rümelin „merkwürdig“. Spreche man dem Embryo Menschenwürde zu, so könne man Abtreibungen nicht rechtfertigen.Tatsächlich überfrachte die deutsche Ethikdiskussion so den klassischen kantischen Begriff der Menschenwürde, indem sie sämtliche moralische Pflichten unter ihn zu subsumieren suche. Mit seinem berühmten Satz, dass jeder Mensch nicht nur als Mittel, sondern zugleich als Zweck zu betrachten sei, habe Kant auf die Selbstbestimmung des Menschen gezielt. Diese Autonomie schon einer befruchteten Eizelle zuzusprechen, weite Kants Begriff unzulässig aus, so Nida-Rümelin.

Das hieße mitnichten, dass gegenüber Wesen, denen dieses kantische Selbstbewusstsein nicht zukomme, keine moralischen Pflichten mehr gälten: „Wir haben dennoch eine moralische Schutzpflicht gegenüber allen Schutzbedürftigen: Allein die Tatsache, dass jemand leidet, ist schlecht.“ An die Empfindungsfähigkeit sei diese Schutzpflicht deshalb etwa zu koppeln. Beim Embryo beginne die ungefähr mit der 22. Woche.

Dietmar Mieth dagegen steht für die Retter der embryonalen Würde: „Die kantische Menschenwürde erstreckt sich auf den Embryo, auch wenn er erst die Potenz zur Autonomie hat.“ Das sei einfacher, als neue theoretische Konstruktionen wie die „Schutzwürdigkeit“ zu errichten, die neu zu definieren seien. Mit seinem Wunsch nach theoretischer Klarheit gerät Nida-Rümelin tatsächlich in neue ethiktheoretische Dilemmata, wie etwa die Abgrenzung zwischen Schutzwürdigkeit von Menschen und Tieren. Mieth: „Was unterscheidet dann den Embryo von der Qualle am Strand?“

Brisanter ist, dass Nida-Rümelins völlig legitimer theoretischer Beitrag zu Ethikdebatte mit der Ernennung zum Kulturstaatsminister zur politischen Äußerung wurde, die ein mühsam erarbeitetes politisches Stillhalteabkommen um die embryonale Würde aufzukündigen scheint.

Damit hat der Ethiker allerdings noch nicht den Beweis für den Schrecken geliefert, den Philosophen in der Politik verbreiten: Der Zeitpunkt war schlicht unglücklich. Denn nun klebt das Etikett des Embryonenmissachters am Minister, der doch, wenn es um die ethische Praxis geht, völlig mit dem Mainstream übereinstimmt: Dann nämlich geht es tatsächlich um „die Konsequenzen“ der Gentechnik – und die schrecken den Staatsminister ebenso wie alle anderen: Selektion von Embryonen im Sinne von Optimierung sei, verfügte er ganz ohne Kant-Referenzen, strikt abzulehnen, die Präimplantationsdiagnostik deshalb nur zu erlauben, wenn „zuverlässige rechtliche, ethische und soziale Barrieren“ die optimierende Selektion ausschlössen. Ebenso sei das therapeutische Klonen zur Gewinnung von Stammzellen, jenen Wunderkammern, aus denen man hofft, verschiedene Arten von Organen und Geweben züchten zu können, nur dann zulässig, wenn ähnliche Barrieren den Weg zum reproduktiven Klonen verschlössen.

Und warum nicht Menschen klonen? Auch da hat der Ethiker Nida-Rümelin ganz praktische Befürchtungen: Unvorhersehbare Konsequenzen hätten eventuelle Modewellen des Klonens für die Entwicklung der Menschheit, eine Einschränkung des Genpools auf wenige modische Varianten etwa. Zudem will Nida-Rümelin dem ohnehin komplizierten Individuierungsprozess in Auseinandersetzung mit den Erzeugern nicht noch die Auseinandersetzung mit dem genetisch identischen, aber bereits erwachsenene „Zwilling“ hinzufügen: als gäbe es nicht schon genug Profilneurotiker auf der Welt.

Resümee? Nida-Rümelin bleibt Stufenethiker ohne gleich zur Embryonenschleuder zu mutieren, mit Kant lässt sich einiges Widersprüchliche begründen und: Doktor Antinori wird das alles überhaupt nicht kümmern.

HEIDE OESTREICH