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Kreuzberg forscht doch

betr.: „Kreuzberg forscht nicht“ (Zwangsarbeiter), taz vom 16. 3. 01

[...] Der Bezirk Kreuzberg hat sich als erster Westberliner Bezirk im Jahr 1995 ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Der anlässlich des fünfzigsten Jahrestags des Kriegsendes erschienene Ausstellungskatalog des Kreuzberg-Museums „3. Februar 1945 – Die Zerstörung Kreuzbergs aus der Luft“ enthält ein Kapitel über Zwangsarbeit im Bezirk mit Zeitzeugenberichten und einem Stadtplan, der die damals bekannten 29 Zwangsarbeiterlager verzeichnet. Inzwischen wissen wir, dass es wesentlich mehr Lager gab, weil fast jeder größere Betrieb in Kreuzberg Zwangsarbeiter beschäftigte und Unterkünfte bereitstellen musste: Ende 1995 wurde in der Ausstellung des Kreuzberg-Museums „Wach auf mein Herz und denk“ (über die Geschichte der Beziehungen zwischen Berlin-Brandenburg und Schlesien) das Schicksal polnischer Zwangsarbeiter dargestellt.

Dazu erschien ein ausführlicher Beitrag im Katalog. In der Ausstellung wurde der von Mitarbeiterinnen des Kreuzberg-Museums in einem polnischen Archiv entdeckte Dokumentarfilm „Rassenschande“ gezeigt, der viel Aufsehen erregte, weil er die brutale Bestrafung eines Liebespaares („deutsches Mädel“/polnischer Zwangsarbeiter) festhält.

Im Rahmen des Projektes „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die deportierten jüdischen Nachbarn – Sie berichteten darüber – konnten wir in den Jahren 2000 und 2001 mit Unterstützung des Landesarchivs weitere Kreuzberger Betriebe nachweisen, in denen vor allem jüdische Kreuzberger Zwangsarbeit leisten mussten, zum Beispiel die Firma DEUTA in der Oranienstraße 25. Auch das ist öffentlich dokumentiert worden.

Trotz solcher Anstrengungen unsererseits halten wir es für vermessen anzunehmen, die Berliner Bezirksverwaltungen könnten in Kürze nachholen, was deutsche Universitäten und Forschungsinstitute über Jahrzehnte versäumt haben. Die Berliner Bezirksmuseen sind nicht in erster Linie Einrichtungen der historischen Forschung und haben in der Regel nicht mehr als zwei festangestellte Mitarbeiter.

Beschämend ist auch, dass der fundiert begründete Projektantrag der Berliner Bezirksmuseen für ein gemeinsames Forschungs- und Ausstellungsvorhaben zum Thema „Zwangsarbeit in Berlin“ aus dem Jahr 1999 bisher weder bei Stiftungen noch bei Landeseinrichtungen nennenswerte Unterstützung gefunden hat. [...] JOACHIM KOHL, Bezirksstadtrat für

Bildung, Kultur und Sport Friedrichshain-Kreuzberg

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