: Erst kraulen, dann sinken
Viel Rauch um Jazz: Das Heidelberger Dancefloor-Projekt De-Phazz mischte im Tränenpalast Lifestyle- und Super-8-Ästhetik mit Soundtrackfantasien à la James Bond
De-Phazz machen Spaß. Im Auto, beim Staubsaugen oder auch im Zug. Zum Beispiel im Radioprogramm des ICE Frankfurt–Berlin. Wie praktisch, dass Universal ein Exklusivabkommen für das Musikprogramm der Deutschen Bahn hat. Immer monatsweise werden hier die neuesten CDs der Plattenfirma verkaufsfördernd promotet.
In Heidelberg hat sich Klangtüftler Pit Baumgarten das Konzept für De-Phazz ausgedacht: Ein Klangteppich aus psychedelischen Jazzloops, synthetisierten Tonwellen und Sixties-Filmschlagern, über den sich Trommeln, Posaunensoli und Soulstimmen erheben, teilweise elektronisch verfremdet. Jetzt ist noch ein Saxofon dazugekommen, denn das macht sich immer gut. Symbolisiert es doch wie kein zweites Instrument die Lounge-Musik vor allem im New York der Sechzigerjahre: Jazz. Zum Klischee reduziert auf einen Mann mit Anzug und Saxofon, dessen Gesicht in den Rauchschwaden seiner Zigarette verschwindet. Wie in den Filmen eben. Oder auf Fotos von William Claxton.
Rauch ist auch an diesem Abend im Tränenpalast ein wichtiges Stilmittel. Die Bühne verschwindet in weißem Nebel. Der die Nase austrocknende Geruch mischt sich mit dem beißenden Geruch gekaufter und dem süßlichen Geruch gebastelter Zigaretten. Der ganze Raum versinkt in den Rauchschwaden. Etwa 900 Menschen sind hier versammelt, weitere 200 bis 300 mussten draußen bleiben. Hinter der Bühne spannt sich eine weiße Leinwand im Quadratformat. Auch Formen spielen eine Rolle bei dem audiovisuellen Gesamtkonzept von De-Phazz. Klare, reduzierte Formen. Quadrate, Kreise, Linien. Dann betritt Pit Baumgartner die Bühne. Er kann es kaum glauben, wie viele Leute da sind. Glücklich verblüfft fährt er sich durch seine Jim-Jarmusch-Frisur und verbeugt sich auf der noch dunklen Bühne, bevor er unter Kopfhörern und hinter seinem Mischpult verschwindet.
Auf der Leinwand erscheint das Cover der neuen CD „Death by Chocolate“ und die web-Adresse der Band: www.de-phazz.de. Hier erfährt man auch, dass das Album bei seiner Veröffentlichung Anfang März direkt auf Platz 20 der deutschen Albumcharts eingestiegen ist. Danke, Universal, danke, Viva, danke, MTV, danke, VH-1, danke, Deutsche Bahn! Wer hat bloß alle diese Menschen mobilisiert? Wie wird Erfolg gemacht?
Die Suggestivkraft sich bewegender Bilder ist nicht zu unterschätzen. Hier wird ein Lifestyle-Image transportiert. Vor allem durch die Super-8-Ästhetik der Videos von Dorothea Donneberg, auf denen surreale Bilder ineinander fließen. Davor tanzen angenehm unprofessionelle De-Phazz-Tänzerinnen. Sie sind schön, sie sind hip und sie sind lustig. Pat Appleton singt den Soundtrack zum Bond-Girl und dann wirft Sänger Frierson sein Unterhemd in die Menge, um halb nackt den Schwimmtanz zu geben: erst kraulen, dann Nase zuhalten und sich auf den Grund sinken lassen. Im Pool natürlich.
Am Schluss bleibt das Gefühl, neue Freunde gefunden zu haben. Nach vier Zugaben trennt man sich voneinander. Und dann gibt es ja noch den ICE. Auch in die andere Richtung.
MAXI SICKERT
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