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Subtiles Spiel mit Erwartungen

■ Melk Prod./Marco Berrettini mit „Sorry, do the Tour!“ auf Kampnagel

Die Pose ist alles. Und alles ist Pose. Cool und vor allem sexy muss es nur aussehen. Mit kantigem Beckenstoß manöveriert Mann sich in Position, während Frau in sanften Wellen das Ziel erreicht. Dann schiebt sich die Hüfte vor, und bei gesenkten Blick gleitet der Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger diagonal nach oben. Simple Gestik, die ihre Wirkung selten verfehlt.

„Nummer 38, bitte!“ Techniker Bruno hat die Abläufe hier lässig im Griff. „Nummer 38, danke!“ Abtreten, bitte! Die Nummer 38 trägt der Choreograf Marco Berrettini auf dem Rücken und gibt damit gleichzeitig sein Alter preis. Schließlich erzählt er in seinem jüngsten Tanzstück Sorry, do the Tour!, das mit seiner in Paris ansässigen Compagnie Melk Prod. auf Kampnagel produziert wurde und dort jetzt Premiere hatte, nicht allein vom lebensbejahenden Tanzvergnügen, sondern auch vom Älterwerden.

Der Deutsch-Italiener Berrettini war 1979 mit 15 Jahren deutscher Champion im Disco-Tanzen. Und selbst nach Ausbildungen an renommierten Instituten wie der London Contemporary Dance School und der Folkwang Schule Essen, lässt ihn die leichte Tanzmuse nicht mehr los. Doch genauer betrachtet, verwickelt der Choreograf sein Publikum in ein raffiniertes Spiel um die eigenen Erwartungen. In penetranter Wiederholung führt er all die schablonenhaften Gesten und Posen ad absurdum. Adrett sind die TänzerInnen anzuschauen, lakonisch ziehen sie ihre abgeklärt aufreizenden, dabei oft urkomischen Nummern ab und lassen die ZuschauerInnen am ausgestreckten Arm ins Leere laufen. I am what I am dröhnt es aus den Boxen. Aber was wird hier eigentlich gespielt? Ein Tanzwettbewerb? Ein Foto-Shooting vielleicht, wie die Szenerie aus Scheinwerfern und Spiegelfolie im ansonsten leeren Raum suggeriert.

Die Musik hat das Wort. Disco-Hits sind von A wie African Queen bis Y wie Yes Sir I can boogie im Programmzettel aufgeführt. Love to Love you, Baby frisst sich die Hymne auf die Selbstverliebtheit in einer Endlosschleife ins Ohr. Und während Nummerngirls und -boys synchron Rhythmus und Reihe halten, wuselt eine Schar Ballettratten zwischen ihnen herum. Mädchen im Tutu und streng frisierter Haartracht, angeheuert aus einer Hamburger Ballettschule, spielen Ball mit der Disco-Kugel, rufen die Nummern auf und führen ansonsten ein schattenhaftes Dasein.

Trotz Durchhänger in der teils improvisierten Vorstellung amüsiert man sich köstlich. Und dann befällt einen das Unbehagen darüber, wie hohl und abgeschmackt die Welt doch ist, der wir mit Freuden immer wieder auf den Leim gehen. Irmela Kästner

Weitere Vorstellungen: 4,bis 6., 9. bis 12. Mai, 20 Uhr, Kampnagel, k1

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