: „Eine intelligente Veranstaltung“
Was andere Medien zum taz-kongress sagen: „originell!“ – „verschnarcht“ – „endlich mal eine gute Frage“ (danke)
Der taz-kongress „Wie wollen wir leben?“ vom vergangenen Wochenende hat ein breites Meinungsspektrum anderer Medien hervorgerufen. Auf der einen Seite: große Verwunderung, dass das „verschnarchte Regierungsblatt“, die „alternde Diva“ taz so etwas fragen kann. Ist es denn nicht die Aufgabe der Medien, zynisch die Missstände runterzurattern? Nun: Das muss mittelfristig die LeserIn entscheiden. Jedenfalls gibt es auch viel Zustimmung, dass die taz sich getraut hat.
Berliner Zeitung:
Nun haben wir fast drei Jahre rot-grüne Koalition, und die „größte Schülerzeitung der Welt“, wie Wolfgang Neuss die taz nannte, ist zwar so gutmütig verschnarcht, wie man es von einem Regierungsorgan erwarten kann, aber dennoch kein ideologisches Mehrheitsblatt geworden. Erstaunlich ist eigentlich, dass es der taz gelingt, trotz der politischen, sozialen wie auch ökonomischen Integration ihrer Stammleserschaft ins verpönte Establishment, ihre eher marginale Marktposition zu behaupten. (...) Während die meisten taz-Gründer heute in bürgerlichen Medien meinungsbildend tätig sind und sich schon mit einer Reform der Rechtschreibung schwer tun, erneuern sich die taz-MacherInnen bei Billiglöhnen permanent im Geist der besten Journalistenschule Deutschlands. Da verwirklicht sich die angegammelte Utopie vom Konsumverzicht fast von selbst.
(...) „Wie wollen wir leben?“ Ist doch klar: wie Adrienne Goehler. Die zur Eröffnungsplauderei geladene Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule verkörpert wie Iris Berben für die FernseherInnen das hedonistische Ideal der Alternativ-Bobos jenseits der Empfängnisgrenze: linkes Bewusstsein, Karriere im Kulturbetrieb, selbst ausgebautes Bauernhaus mit Biogarten in der Toskana. Signifikant selbstzufrieden wünschte sich Goehler im letzten taz-Magazin die „Umverteilung des Luxus“ und gab damit der geforderten Differenz zur Konsumentenhaltung den echt diskursiven Dreh. SABINE VOGEL
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Frankfurter Allgemeine Zeitung :
Nicht zu feiern wäre geschäftsschädigend. Schließlich gilt: „taz muss sein. Wir brauchen (mindestens) 50.000 Abonennten.“ Gestern hatte sie erst 48.085. Das ist nervig. Immer jammern ist auch nervig (...) Also veranstaltet die „taz“ – immer originell! – einen Kongreß, „um mit den Lesern ins Gespräch zu kommen“, um mal „den inhaltlichen Anspruch einzulösen“, der mit dem Werbeslogan „taz muss sein“ behauptet wird. (...) Kleckern liegt der „taz“ nicht, tat es nie. Sie klotzt. MECHTHILD KÜPPER
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Jungle World:
Seitdem [1978, Anm. der Red.] hat sich einiges verändert. Die Leserschaft der taz etwa und ihre Stellung in der Gesellschaft. Begriff sich die Zeitung damals als Teil einer linksradikalen Opposition, so steht sie heute im Ruch, ein Regierungsblatt zu sein. Und die Leserschaft engagiert sich nicht mehr im Häuserkampf, sonder betreibt E-Commerce oder Bio-Marketing. (...) aber besser als eine enervierende Abo-Kampagne ist ein Kongress allemal.STEFAN WIRNER
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Der Tagesspiegel (Berlin):
In mehr als 40 Veranstaltungen mit viel grüner Prominenz buchstabierte beinahe jedes Ressort die Leitfrage „Wie sollen wir leben?“ auf seine Weise. Allein die „Leibesübungen“ hatten sich offenbar auf die faule Haut gelegt. Das Programm stellten die Angestellten neben der täglichen Zeitungsproduktion in nur drei Monaten auf die Beine, alle Referenten traten kostenlos auf.
Sollte es die taz einmal nicht mehr geben, muss einem um diese Truppe sicher nicht bange sein. JÖRG PLATH
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Frankfurter Rundschau:
Vom Potenzial her war der Berliner taz-Kongress, den sich die Überlebenskünstlerin zu ihrem 22. Geburtstag leistete, ein glatter Erfolg. Der Fragezeichentitel Wie wollen wir leben? war gut. Der Ort, die ehemalige SED-Parteihochschule in Berlin-Mitte, war gut. Die Idee, an die Tradition der großen linken Berliner Kongresse (Tunix) anzuknüpfen, war gut. Die Namensliste der Referenten, Podiumsgäste und -diskutanten war gut, reichte von Renate Künast bis zu Harry Rowohlt und der Dekanin der Kieler Juristischen Fakultät. Das Rahmenprogramm war gut. Und allein die Truppe der ehemaligen Chefredakteure und Ressortleiter, die die taz bei solchen Gelegenheiten so lässig hervorzaubert und einsetzt wie eine alternde Diva ihre verflossenen Liebhaber, war beeindruckend.
Nur eines stimmte bei dem Kongress nicht so ganz: der historische Moment. Die Gegenwart ist keine gute Zeit für Antworten auf so große, vage oder gar abstrakte Fragen wie „Wer darf leben?“ zum Thema Ethik oder „Wo leben wir eigentlich?“ zum Thema Europa. Sie hält sich lieber an das Nahe und Konkrete, weshalb die große Samstagsveranstaltung „Wen sollen wir schlachten?“ zum Thema Fleisch mit der grünen Bundesministerin Künast den stärksten Zulauf und den konzentriertesten Ablauf erlebte. UM
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Financial Times Deutschland:
(...) Flucht per Fernbedienung. Gelandet bei Phoenix, dem Ereigniskanal. Da passiert tatsächlich was. Übertragung von einem Kongress, den die „taz“ veranstaltet. Thema: „wie wollen wir leben?“ Endlich mal eine Frage, deren Beantwortung wirklich interessiert mitten in diesem ach so tollen wirtschaftlichen, technologischen, kulturellen Wandel. Angeblich bewegt sich alles, aber wohin? Egal – wir sollen uns darauf einstellen. Wie wollen wir leben – eine intelligente Veranstaltung für Suchende. Darauf hätten auch andere mal kommen können. Aber Kongresse über bessere Unternehmensstrukturen, effizienteres Management oder die Steigerung des Shareholder Value sind ja auch irgendwie wichtig.
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Badische Zeitung:
Hat die taz denn gar keine Hoffnung anzubieten? Letzte Chance Harry Rowohlt, der Übersetzer, Schriftsteller und Schauspieler. „Was macht Sie glücklich?“, fragte ihn die taz im Vorfeld des Kongresses. „Ich genieße es, einmal nichts tun zu müssen und stattdessen in aller Ruhe über den Markt schlendern und guter Dinge sein zu können. Deshalb versteh ich auch die Leute nicht, die ihre Urlaubszeit mit Reisen verschwenden. (...) Morgens aufzuwachen und zu wissen, dass ich nicht verreisen muss, das macht mich existentiell glücklich.“ Und so kam es, dass wenigstens einer der Kongressteilnehmer das Glück benennen konnte. Zum Glücklichsein ist es aber dann doch nicht gekommen. Dafür hätte er zu Hause bleiben müssen. TOM HEITHOFF
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