piwik no script img

Der Meister aller Disziplinen

Orson Welles, der Magier: Eine Filmreihe im Babylon in Mitte beleuchtet wenig bekannte Facetten des einflussreichen Regisseurs und Schauspielers

von ANDREAS BUSCHE

Dass Orson Welles in den 60ern gezwungen war, sich mit TV-Spots für Weine zu finanzieren, sei bezeichnend für den kulturellen Niedergang der amerikanischen Gesellschaft, meinte Peter Bogdanovich am Ende jener Dekade. Welles selbst sah seine damaligen Fernsehaktivitäten weniger dramatisch: „Filmtechnik und -dramaturgie entwickeln sich nirgends so rasant wie im Werbefernsehen“, kommentierte er mit einer Spur Sarkasmus.

Orson Welles war nicht gerade die tragische Figur vom Shakespeare’schen Schlage, die er selbst von frühester Jugend an unzählige Male auf Theaterbühnen dargestellt und inszeniert und später auch dreimal auf die Leinwand gebracht hatte, als Macbeth, Othello oder Falstaff. Er hat sein Schicksal immer bewusst herausgefordert, hat seine Autorenposition in jedem Projekt betont und seinen Ruf als Wunderkind in die Waagschale geworfen, um zwischen den Disziplinen springen und sie durchdringen zu können. Er hat das Radio zur Theaterbühne erhoben und das Theater für den Film fit gemacht. Den Film schließlich transformierte er, dass den alten Studiobossen angst und bange wurde, bis sie ihn schließlich am langen Arm verhungern ließen.

Bezeichnenderweise verdankte er seine Rückkehr nach Hollywood einem Schauspieler, Charlton Heston, der die Rolle als Rauschgiftfahnder Vargas in „Im Zeichen des Bösen“ (1957) nur unter der Bedingung annahm, dass Orson Welles dafür Regie führte. „Im Zeichen des Bösen“ gilt heute vielen als bester seiner Filme nach „Citizen Kane“ – und das, obwohl der Film erst 42 Jahre später in der von ihm autorisierten Fassung in die Kinos kommen sollte.

Es sollte Orson Welles’ letzter Hollywoodfilm sein. Marlene Dietrichs Kommentar zur Figur Hank Quinlan, die Welles verkörperte, brachte die Gründe schmerzhaft auf den Punkt: „Junge, du bist alt geworden. Du hast keine Zukunft, du hast sie dir selbst genommen.“ Trotzdem haben ihn die ständigen Demütigungen nie an der Autonomie des klassischen Künstlersubjekts zweifeln lassen, was man ihm angesichts der Menge seiner nie vollendeten Projekte wohl als größte Charakterstärke anrechnen muss.

1994 übergab Welles’ letzte Lebensgefährtin, die kroatische Schauspielerin und Malerin Oja Koder, seinen gesamten Nachlass dem Filmmuseum München. Dieser Nachlass bildet den Grundstock für die umfangreiche Orson-Welles-Retrospektive, die den Mai über im Filmkunsthaus Babylon läuft. Drei erstmals aufgeführte Blockprogramme mit Arbeitsskizzen („Moby Dick“), Rohmaterial („The Deep“, 1967), Kurzfilmen und einigen Fernseharbeiten (darunter die Gina-Lollobrigida-Hommage „Potrait of Gina“ von 1958, einer seiner visionärsten TV-Filme), „Fountain of Youth“ und die „Sketch Books“ bilden dabei das Herzstück der Rückschau.

Diese Fragmente geben Aufschluss über Welles Arbeitsweise. Gerade in den kurzen Formaten nahm er sich mitunter Freiheiten, die weit über das hinausgingen, was man sonst von ihm gewohnt gewesen war, so etwa mit den Monty-Python-ähnlichen Slapstick-Einlagen in „Orson Welles’ London“ und „Orson Welles’ Wien“. Noch eine Facette seiner Persönlichkeit, die in vielen seiner Figuren angelegt ist, beleuchtet die Hommage: Welles der Magier. Seine Charaktere – Harry Lime („Der dritte Mann“), Charles Rankin („Die Spur des Fremden“) oder Hank Quinlan – sie alle agierten oft verstörend und unberechenbar aus dem scharf kontrastierten Dunkel heraus, um den Zuschauer zu täuschen und ihn seiner Gewissheit zu berauben. Dieses Spiel mit der Ungewissheit hatte er sich schon für sein legendäres Radiohörspiel „War of the Worlds“ zu Nutze gemacht; auf derselben Prämisse baute später auch „Citizen Kane“ mit seinen diversen Erzählperspektiven auf.

1973 schuf Welles mit „F wie Fälschung“ seinen letzten vollständigen Film und seinen größten Taschenspielertrick: ein brilliantes erratisches Essay über Kunst, Realität, Authentizität und Fälschung, das Woody Allens „Zelig“ um zehn Jahre vorwegnahm. Seinem größten Zauberprojekt „The Magic Show“ (1976–85) erging es dafür so wie gut zwei Dutzend anderen Welles-Arbeiten: Es wurde nie vollendet.

Mit der Reihe „The Unknown Orson Welles“ eröffnet das Babylon in Mitte nach 7 Jahren wieder den großen Saal

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen