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Das öffentliche Geheimprojekt

Seit einem halben Jahr stehen sie ihren digitalen Startlöchern, werden „in der Mittagspause“ gelesen und manchmalauch zitiert: Aber die Online-Journalisten von der „Netzeitung“ warten noch immer auf den eigentlichen Startschuss

von ARNO FRANK

Wer mit einem gewöhnlichen Rechner die URL www.netzeitung.de ansteuert, der kommt nicht sofort zu den gewünschten Nachrichten, sondern wird über einen Router zum zentralen europäischen Knotenpunkt in Amsterdam geleitet, von dort wiederum zu den Servern des norwegischen Mutterschiffs Nettavisen – und wieder zurück. Dat dauert. Lange Ladezeiten aber gehören noch zu den kleineren Problemen, mit denen die am 8. November 2000 gestartete Netzeitung zu kämpfen hat.

In Norwegen mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern und langen Nächten ist Nettavisen bald 80 Prozent der Bevölkerung ein Begriff, 200.000 Leser surfen täglich auf den Seiten der Online-Zeitung. In Deutschland mit seinen 80 Millionen Einwohnern dürfte die Netzeitung nicht mal 4,5 Prozent der Bevölkerung bekannt sein. Kein Wunder: Das schmale Werbebudget von 240.000 Mark ist schneller verschossen, als man „Klick“ sagen kann. Und wer sich nicht als Netzbürger begreift und etwa über Bannerwerbung zu den Online-Journalisten stößt, findet nirgends Hinweise auf die Netzeitung – die 24 Mitarbeiter in der Berliner Albrechtstraße aktualiseren ihr Angebot unter Ausschluss der Offline-Öffentlichkeit statt. Michael Maier, der zuvor Berliner Zeitung und Stern geleitet hat, gibt sich in der Not tugendhaft: „Das war doch gerade das Fiasko der Dotcoms“, sagt er, „Die haben Unsummen ins Marketing gesteckt, um ihre Produkte bekannt zu machen, ohne ihr Produkt weiterzuentwickeln.“ Was die hohen Hoffnungen auf aggressive Werbung betrifft, da habe sich in der Branche „Ernüchterung breit gemacht. Es ist sinnvoller, innerhalb des Netzes bekannt zu sein und dort mit interessanten Partnern zusammenzuarbeiten.“

Der interessanteste „Partner“ ist fraglos Lycos, dem die Netzeitung inzwischen zu 100 Prozent gehört. Vereinbart ist, dass die Netzeitung das Portal künftig mit Inhalten beliefert, mit Content, dem wertvollsten Rohstoff im Internet. Wer dann bei Lycos auf die Hauptnachrichten klickt, gelangt automatisch zur Netzeitung – das soll Prestige, Publizität und höhere Klickraten bringen. Dort weiß man zwar von den Plänen, kann aber auch noch keinen genauen Starttermin nennen: „Außerdem beliefert uns ja die Nachrichtenagentur Reuters“, heißt es bei Lycos.

Maier will seine Netzeitung allerdings keineswegs als „Content-Provider“ verstanden wissen, der stumpf Tickermeldungen abliefert: „Wir machen hier ein journalistisches Projekt.“

Auch Joachim Widmann, Chef vom Dienst, gibt sich zuversichtlich: „Ein halbes Jahr im Internet, das ist eine halbe Ewigkeit. Es gab eine strenge Evaluation, und die ist positiv verlaufen.“ Gelesen werde das Angebot vorwiegend von Männern, vorwiegend in der Mittagspause im Büro. „Das sind die Peak-Zeiten“, weiß Widmann, „aber immer mehr Leser schauen inzwischen auch Abends rein.“ Wie viele das genau sind, wissen nicht einmal die Mitarbeiter. Zwar gibt eine tägliche „Top Ten“-Liste Aufschluss über die beliebtesten Artikel, mit konkreten Zahlen hält man aber noch hinterm Berg. „Klickraten nutzen niemandem,“ sagt ein Redakteur, „weil sowieso meistens Überschriften mit Reizwörtern angeklickt werden.“ Und das könne ja nicht maßgeblich für journalistische Arbeit sein.

Verhandelt wird daher auch mit der IVW, die Auflagen von Printprodukten prüft und damit der Werbewirtschaft die nötigen Zahlen liefert. Hier sollen nicht nur technische Probleme, sondern auch finanzielle Aspekte eine Rolle spielen. Und: „Traffic garantiert noch keinen Umsatz“, so Maier. Doch ohne „seriöse“ Zugriffszahlen wird auch mit der Bannerwerbung kein Geld zu verdienen sein.

Zumindest das Problem der langen Ladezeiten soll sich bald von selbst erledigen. Die technische Entwicklung galoppiert, das Routing soll dezentralisert werden, und „mit Microsoft Browsern ab Version 4.0 aufwärts werden die Seiten ohnehin noch schneller geladen“, sagt Widmann. Sein Chef sekundiert: „Die Idee einer Internetzeitung ist intakt, aber das Netz verändert sich sehr schnell.“

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